Für das Erreichen der Klimaziele spielt der Mobilitätssektor eine zentrale Rolle, sind sich zahlreiche Expert:innen einig. In der Theorie klingt die Möglichkeit, hier CO₂ einzusparen, auch ziemlich einfach. Im Idealfall sollten Güter sowie Menschen möglichst wenige Kilometer absolvieren – und wenn doch, dann bitte möglichst CO₂-neutral. Dafür müssen jedoch einige Bedingungen erfüllt sein. Beispiele wären ein Arbeitsplatz nahe am Wohnort ebenso wie die Einkaufsmöglichkeiten und Urlaubsziele. So simpel dieses Ideal in der Theorie scheint, so realitätsfern ist es in der Praxis. Denn wir leben in einer vernetzten, schnelllebigen Welt, in der Reiseziele, Freundschaften, Hobbys sowie die Berufswahl nicht vom Kilometerradius bestimmt werden. Mobilitätsbedürfnisse und Nachhaltigkeitsbestrebungen sind sehr individuell: Um die Mobilitätswende zu schaffen, braucht es daher differenzierte Ansätze für unterschiedliche Mobilitätstypen.
Kein Wunder, dass sich Expert:innen rund um den Globus den Kopf zerbrechen, wie die Mobilitätswende dennoch gelingen könnte. Auch Alexandra Millonig vom Centre of Mobility Change (CMC) und Brigitte Courtehoux, Brand CEO vom Carsharing-Anbieter free2move (ehemals Share Now), haben sich darüber aktuell Gedanken gemacht. "One-size-fits-all Ansätze haben längst ausgedient. Wir müssen die Diversität an Mobilitätsbedürfnissen anerkennen und eine Vielfalt an Lösungen bieten, die nahtlos zusammenspielen. Carsharing ist ein Teil dieser Lösung", so Courtehoux.
Fünf Mobilitätstypen
Orientierung möchte die Typologie-Studie "pro:NEWmotion" geben, die vom Projektkonsortium Herry Consult, Integral, AIT Austrian Institute of Technology und der TU Wien durchgeführt wurde. Basierend auf weitreichender Analyse und Umfragen wurden fünf Mobilitätstypen in Österreich inklusive Charakteristika und präferierten Mobilitätslösungen herausgearbeitet. Durch diese Typisierung können zielgruppenspezifische Mobilitätslösungen konzipiert werden, um so schlussendlich in der Breite für Veränderung zu sorgen, so die Studienautor:innen.
Die größte Gruppe, mit 29 Prozent, ist die der "Pragmatisch-Interessierten": Sie sind mit digitalen Medien aufgewachsen, wohnen in der Umgebung von oder direkt in kleinen bis mittelgroßen Städten und sind anpassungswillig. Alltagswege werden von diesem Typ mit den öffentlichen Verkehrsmitteln absolviert, aber auch Auto, Fahrrad und anderen Kleinfahrzeuge werden genutzt.
"In den Köpfen vieler Menschen ist ein Leben am Land ohne Auto nicht vorstellbar. Teilweise ist das dem weniger dichten Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln geschuldet – dieses muss selbstverständlich weiter ausgebaut werden. Andererseits braucht es ein Umdenken: anstatt Angestellten einen Parkplatz anzubieten, können z.B. Belohnung für jene Mitarbeiter:innen angedacht werden, die mit dem Fahrrad kommen, zumindest eine Teilstrecke mit dem Zug absolvieren oder sich ein Auto teilen", sagt Millonig. Brigitte Courtehoux fügt hinzu: "Aufgrund der instabilen Kundennachfrage im ländlichen Bereich bzw. am Stadtrand schaffen wir, auch wenn das isoliert betrachtet wirtschaftlich kaum tragbar ist, mit Langzeitmieten oder Vorbestellungen ein dezidiertes Angebot, um auch hier Mobilitätsbedürfnisse zu decken."
Die zweitgrößte Gruppe ist jene der "Effizienz-Orientierten" mit 24 Prozent. Ihre Entscheidungen sind der Studie zufolge stark von Zeit und Kosten beeinflusst – Umweltthemen spielten hingegen kaum eine Rolle. Sie fahren viel mit dem Privat-Pkw.
Zu diesem Mobilitätstyp sagt die CMC-Expertin: "Hier können wir vor allem mit pünktlichen, schnellen, öffentlichen Anbindungen in dichtem Takt punkten. Eine Reduktion an oder eine Kostenerhöhung von Parkplätzen kann weiter dazu beitragen, dass die Nutzung von Privat-Pkws sinkt." Courtehoux ergänzt: "Je häufiger Carsharing-Autos genutzt werden, desto rentabler werden sie. In Zeiten, in denen Park- und Erhaltungsgebühren sowie Tankpreise steigen, steigt die finanzielle Attraktivität von Shared Mobility. Das müssen wir an diese Zielgruppe herantragen."
Mit 22 Prozent ist die Gruppe "Hoch-informierte Nachhaltigkeit" nur etwas kleiner, die Unterschiede sind jedoch markant: Denn dieser Typ ist sehr verantwortungsbewusst und interessiert an nachhaltigen Mobilitätslösungen. Er wohnt vor allem in Wien, hat oft ein Klimaticket und ist viel zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs. Er nutzt ab und an auch ein Auto – präferiert hier jedoch E- und Carsharing-Lösungen.
"Dieser Typ ist hinsichtlich Nachhaltigkeit quasi der Vorreiter. Praktische, nachhaltige Lösungen werden gerne angenommen – jedoch auch kritisch hinterfragt. Das muss bei der Kommunikation von Lösungen berücksichtigt werden", so Millonig. Die Free2move-CEO fügt hinzu: "Die gemeinsame Nutzung von Mobilitätslösungen zahlt in ein verstärktes kollektives Verantwortungsgefühl ein. Nachhaltigkeitsbewusste verstehen, dass sie mit Carsharing-Lösungen nicht nur ihre Lebensqualität verbessern, sondern auch einen Beitrag zu einer grüneren Zukunft leisten."
An vierter Stelle reiht sich mit 19 Prozent der Typ "Niederer Informationsbedarf". Eine geringe Veränderungsbereitschaft und fixe Routinen prägen diesen Typ. Er wohnt eher am Land, ist kostenorientiert und hat das höchste Durchschnittsalter. Veränderung passiert am ehesten aufgrund von Kostenargumenten.
Für Millonig besteht jedoch Hoffnung: "Oft wird hier vorschnell geurteilt, dass die Zielgruppe 'eh nichts ändert'. Auch wenn dieser Frust nachvollziehbar ist, ist er denke ich unproduktiv. Wir müssen uns immer wieder fragen, was wir tun können, um die Nutzung nachhaltiger Lösungen zu steigern – gerade dann, wenn Nachhaltigkeit kein Faktor in der Entscheidungsfindung ist." Genau dabei würden diese Typisierungen helfen. Im Alter spielten beispielsweise Barrierefreiheit und das Aufrechterhalten von Unabhängigkeit eine wichtige Rolle – Lösungen, die dies bieten, könnten hier punkten.
"Wenn wir unsere Carsharing-Lösungen entwickeln, fragen wir uns in erster Linie, wie wir unseren Kund:innen das Leben erleichtern können. Für eine gelungene Mobilitätswende ist das unerlässlich – genauso braucht es jedoch einen attraktiven regulatorischen Rahmen, der durch geeignete Privilegien, wie zum Beispiel, die Befreiung von Parkgebühren, einen nachhaltigen Betrieb sicherstellt", so Courtehoux zu den Herausforderungen.
Die mit Abstand kleinste Gruppe befindet sich im einstelligen Bereich mit sieben Prozent und heißt "Spontan – On the go". Sie ist jung, technologieaffin, nutzt gerne Echtzeitinformationen über Apps und schätzt Effizienz und Flexibilität – daher wird oft auf Sharing-Lösungen, egal ob Scooter, Bike oder Auto, gesetzt. Sie ist aufgrund ihrer Agilität Vorreiter im Trend zur Seamless Mobility.
"Bei Free2move sind sie oft die Ersten, die unsere Carsharing-Lösung in Anspruch nehmen, wenn wir in eine neue Stadt kommen. Sie treiben uns an, unsere Lösungen immer weiterzuentwickeln und am Zahn der Zeit zu bleiben", verrät Courtehoux aus der Praxis.
Ausblick
Abschließend geben die beiden Mobilitätsexpertinnen noch ihre Einschätzung für die Zukunft ab. "Durch das Aufzeigen von Mobilitätsbedürfnissen und der Entwicklung nachhaltiger Mobilitätskonzepte möchten wir die Mobilitätswende vorantreiben. Wir wissen, dass ein Wandel möglich ist: Das Know-how und die Technologie sind vorhanden – wir müssen sie nur nutzen", sagt Millonig.
Courtehoux bekräftigt: "Wir sind bestrebt Carsharing-Lösungen für alle Mobilitätstypen anzubieten: Sei es die spontane go-to Lösung, die Langzeitmiete für Vorausplaner, Autos am Flughafen für Reisende oder aber free2move for Business für Unternehmen, die agil bleiben und keine fixe Flotte möchten." Laut ihr brauche es ein Zusammenspiel aus einer Vielzahl an nachhaltigen Mobilitätsangeboten, um in der Breite etwas bewegen zu können. Man sei stolz, ein Teil der Lösung zu sein, so die free2move-Brand-CEO abschließend.
www.changemobility.at
www.free2move.com
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