LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Javed, vor rund 100 Tagen hat die Raiffeisen Holding NÖ-Wien den Agrarverlag übernommen (LEADERSNET berichtete). Seither sind Sie neben Ihren vielen anderen Aufgaben als operativer Geschäftsführer tätig. Wie ist der Status Quo und wie ist Ihr erstes Resümee?
Ammar Javed: Der Agrarverlag hat in seinem mittlerweile fast 100-jährigen Bestehen schon einige Höhen und Tiefen erlebt, wobei die Tiefen bis jetzt immer als Chancen zur Veränderung genutzt werden konnten. Das ist eine beachtliche Leistung, vor der ich großen Respekt habe.
Als Verlag befinden finden wir uns allerdings, wie die meisten anderen Marktteilnehmer:innen auch, derzeit in einer herausfordernden Situation wieder. Gerade in so einer volatilen und komplexen Gemengelage gilt es meiner Meinung nach Stärken zu stärken, Ressourcen und Potenziale sichtbar zu machen und zu nutzen, eine effiziente Kostenstruktur zu entwickeln und vor allem über die gewohnten Wege hinaus zu denken. Hier ist uns in den ersten 100 Tagen schon einiges gelungen.
LEADERSNET: Für wen ist der Agrarverlag das Sprachrohr und wie stellt man sich für die Zukunft auf?
Javed: Wir sind aktuell der Herausgeber von 25 periodisch erscheinenden Special-Interest-Magazinen und haben darüber hinaus zahlreiche Online Publikationen, sowohl im B2B als auch im B2C Bereich. Unsere Themenschwerpunkte sind Landwirtschaft, Holz, Forst & Bau, Garten, Freizeit, Kulinarik & Lebensmittel sowie Immobilien und Handel und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Die Frage, die wir uns aktuell stellen ist: wie werden wir die immer diverser werdenden Zielgruppen und deren Bedürfnisse in Zukunft gut adressieren können? Hier gehen unsere Gedanken vor allem in Richtung Millennials und Gen Z auf der B2C Seite und in Richtung data driven decision making im B2B Bereich.
LEADERSNET: Warum ist das Konzept von Brancheninformationen in einem Fachmedium nach wie vor erfolgreich?
Javed: Unsere Fachmedien bieten tausenden Gewerbetreibenden wichtige, aktuelle, teils datengestützte Entscheidungsgrundlagen und Informationen hinsichtlich deren Handwerk, Marktveränderungen oder wichtigen Trends und Topics. Wir sehen auch ganz klar, dass der Bedarf hierfür steigt. Entscheidungen von UnternehmerInnen, Handwerksbetrieben und anderen Marktteilnehmern des jeweiligen Gewerbe-Ökosystems werden immer datengetriebener, schnelllebiger und zeitnaher. Hier können wir als Fachmedium den Betrieben einerseits einen unglaublichen Datenschatz zur Verfügung stellen, haben als Organisation aber auch umfangreiches Branchen-Know-How. Diese Ressourcen werden wir auch in Zukunft nutzen, um UnternehmerInnen Produkte, Services und Informationen bereitzustellen, die für sie unabdingbar in der operativen und strategischen Arbeit sind.
LEADERSNET: Wie möchten Sie die Innovationskraft des Agrarverlags stärken und sicherstellen, dass das Unternehmen weiterhin relevant bleibt?
Javed: Ich bin der festen Überzeugung, dass Verlage sich aktuell in einem klassischen "Innovators Dilemma" befinden. Dementsprechend bedeutet Innovation in den nächsten Jahren vor allem eines: Disruption! Radikal neue Wege gehen! Den Status Quo konsequent und schonungslos hinterfragen und datengestützt sowie fehlertolerant den vermeintlichen Widerspruch zwischen Wirtschaftlichkeit und Experimentierfreudigkeit nicht nur auszuhalten, sondern zu fördern. Hier müssen wir in Zukunft vor allem auf Offenheit, Mut und Kreativität setzen.
LEADERSNET: Unsere Zeit ist von Digitalisierung, Bewegtbild und Social Media Aktivitäten geprägt. Wie ist Ihrer Meinung nach der richtige Kommunikationsmix für die Zukunft?
Javed: Der richtige Kommunikationsmix kann meiner Meinung nach ganz einfach beantwortet werden: entlang des Bedürfnisses des:r Nutzers:in. Ich bin weder ein Verfechter der bedingungslosen Digitalisierung, noch ein Gegner von Social Media. Ich glaube allerdings an ein ganz einfaches Erfolgsrezept: Customer Centricity. Wir werden den Kunden und mit ihm seine Bedürfnisse konsequent ins Zentrum unserer Bemühungen stellen. Entlang dieser Bedürfnisse ist, von Produkt zu Produkt und von Service zu Service zu entscheiden, was diese am besten adressiert.
LEADERSNET: Wie beabsichtigen Sie, die Leserschaft des Agrarverlags zu erweitern oder zu diversifizieren?
Javed: Der Agrarverlag deckt mit seiner Produktpalette heute bereits eine breite und sehr diverse Leserschaft ab, sowohl digital wie auch im Print. Vom Geschäftsführer eines Sägewerks, das mehrere Millionen Euro Umsatz im Jahr macht, über die Reitsport-begeisterte jugendliche Sprungreiterin bis hin zum Jungwinzer, der sich bereit macht, den Familienbetrieb zu übernehmen, erreichen wir eine heterogene, mannigfaltige Leserschaft.
Unsere Herausforderung wird sein, diese auch weiterhin gut dort abzuholen, wo sie sich tagtäglich aufhalten - aufbereitet auf eine Weise, die für sie auch konsumierbar ist. Hier liegt unser Fokus also vor allem auf die Erschließung jüngerer, digital-affiner Zielgruppen.
LEADERSNET: In Anbetracht der vielen Herausforderungen und wirtschaftlichen Veränderungen stellt sich die Frage: Dürfen wir uns auf die Zukunft freuen, oder müssen wir diese mit großem Respekt erwarten?
Beides! (lacht) Volatilen, ungewissen Zeiten, wie wir sie aktuell am Medienmarkt erleben, ohne einer gehörigen Portion Respekt entgegenzutreten wäre meiner Meinung nach unklug. Die Veränderungen sind darüber hinaus nicht nur gravierend, sie vollziehen sich auch mit einer Geschwindigkeit, die jedes noch so agile Unternehmen vor ernst zu nehmende Herausforderungen stellt.
Und dennoch birgt jedes Risiko auch immer eine Chance. Der hohe Druck, unter dem Medienunternehmen heute stehen, bringt auch viel Energie zur Transformation mit sich. Wer diese Energie zu nutzen und auszurichten weiß und wer es schafft sie zu bündeln, zur Innovation und zur Erneuerung zu benutzen, der wird die derzeitige Herausforderung nutzen können, um Potenziale zu heben.
LEADERSNET: Die Kommunikation und der Medienkonsum haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Was müssen wir tun, um Menschen – nach wie vor – abzuholen?
Bei all der Veränderung und des Wandels lohnt sich meiner Meinung nach immer wieder der Blick auf das, was konstant geblieben ist. Was sich bei all der Veränderung eben nicht geändert hat. Das Bedürfnis nach Informiertheit, Verbundenheit, Erfahrungsaustausch und Unterhaltung hat sich in seinem Kern nicht verändert. Das, was sich ändert, ist die Form des Konsums.
Was uns hier immer wieder zum Stolperstein wird, ist die Trägheit, mit der wir als Medien dem Kundenwunsch folgen. Hier setzen wir beim Agrarverlag in Zukunft verstärkt auf datengetriebene, iterative und agile Produktentwicklung, um ganz nahe am Mensch zu bleiben und ganz nahe an dem, was notwendig ist, um für ihn oder sie einen Unterschied zu machen.
www.raiffeisenholding.com
www.av-medien.com
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