Die auf Vergaberecht spezialisierte Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte veröffentlichte ein Studiengutachten, das die Vergabepraxis auf Gemeinde-Ebene beleuchtet und auf Interviews von 210 Entscheider:innen beruht. "Auch, wenn die EU-Perspektive interessant ist, beschäftigen uns hierzulande in der Vergabepraxis vor allem die kleinteiligen, typisch österreichischen Strukturen und Gepflogenheiten", sagt Vergaberechtsexperte und Kanzlei-Partner Martin Schiefer.
Der Gürtel wird enger geschnallt
Das von Schiefer Rechtsanwälte in Auftrag gegebene und von Pitters Trendexpert durchgeführte Gutachten zeigt ein optimistisches Bild. 89 Prozent der Befragten geben an, dass sie mit dem Beschaffungswesen in ihrer Gemeinde zufrieden sind, wobei bei Beschaffungsprozessen der Faktor Geld vordergründig im Fokus steht. Für 85 Prozent ist der Kostenfaktor bei der Auswahl eines Anbieters entscheidend. "Es regiert noch immer das Billigstbieterprinzip", so Schiefer.
Der Grund dafür liege demnach klar auf der Hand. Die finanzielle Situation der Gemeinden ist angespannt. 51 Prozent beurteilt sie als (eher) schlecht und geht sogar von einer Verschlechterung aus. Vor diesem Hintergrund bleiben wichtige Beschaffungen in den Gemeinden unerledigt, etwa im Gesundheits- und Pflegebereich. Fast zwei Drittel der befragten Bürgermeister:innen und Amtsleiter:innen geben an, dass im Umkreis ihrer Gemeinde mehr Primärversorgungszentren benötigt würden. Lediglich ein Drittel plant Investitionen für 2024. Im neuen Jahr stehen vor allem Ausgaben für die allgemeine Infrastruktur im Vordergrund. 96 Prozent der Befragten wollen diese 2024 tätigen.
Außerdem stehen in den Gemeinden in nächster Zeit Investitionen für Erneuerungen in den Bereichen IT und Kommunikation (58 Prozent) sowie Elektromobilität (39 Prozent) auf dem Plan.
Transparenz und Rechtssicherheit
Auf das Thema Rechtssicherheit legen 78 Prozent großen Wert. Die Einbindung von externen Vergabeexpert:innen und -kanzleien wird dabei von 67 Prozent als wichtig erachtet, bei ausschreibungspflichtigen Vergaben über 100.000 Euro werden diese in der Praxis sogar von mehr als 80 Prozent der Entscheider:innen vollständig oder zum Teil hinzugezogen.
In Sachen Transparenz schätzen sich 24 Prozent und 53 Prozent der Befragten verglichen mit anderen Gemeinden als "deutlich vorbildlicher" oder "vorbildlicher" ein. Neben der Einbindung externer Expert:innen sind laut den Umfrage-Teilnehmer:innen vor allem die Veröffentlichung aller entstandener Kosten und standardisierte Beschaffungsprozesse Garanten für Transparenz.
"Nicht nur der EU-Rechnungshof-Bericht ortet, dass ein Zuviel an Bürokratie den Wettbewerb tötet. Auch auf Gemeindeebene wünschen sich fast alle Befragten eine Vereinfachung der rechtlichen Rahmenbedingungen bei Beschaffungsprozessen", sagt Vergaberechtsexperte.
Ein anderes Ergebnis, das Schiefer positiv stimme sind die Themen Regionalität und lokale Wertschöpfung, die bei drei Viertel der Befragten im Trend liegen. "Eine schöne Entwicklung, die allerdings im Widerspruch mit dem stark forcierten Billigstbieter-Prinzip steht. Wenn wir Regionalität und Nachhaltigkeit durch öffentliche Vergaben wirklich fördern wollen, brauchen wir einen neuen Kriterienkatalog bei Beschaffungsprozessen – und Entscheider:innen auf Gemeindeebene, die von der Rolle der Pfennigfuchser:innen in die der aktiven Zukunftsgestalter:innen schlüpfen", so Martin Schiefer abschließend.
www.schiefer.at
www.pitters.at
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