Boris Podrecca zählt zu den international renommiertesten Architekten Europas. Er wächst mehrsprachig auf und wirkt in einem multikulturellen Ambiente zwischen Belgrad und Laibach, Triest und Venedig, Wien und Stuttgart. "Ich war nirgendwo zu Hause. Ich bin mehr oder weniger nur zum Essen und zum Schlafen zu Hause gewesen. Mein Wohnzimmer war die Straße, sie war sozusagen mein zu Hause. Das hat mich natürlich geprägt, dadurch bekam ich "un Gusto" mich zu äußern: Was ist die Stadt, diese Mama, die einen ständig umgibt?", erzählt uns der 80-jährige bei einem Besuch in seinem Atelier in Wien, der in Bezug auf seine Arbeit lieber von "Archikultur" als von Architektur spricht.
Austria Campus, Wien, Österreich, 2019 © Miran Kambič
Die Lust in der Stadt zu sein, dieser "Eros" des öffentlichen Raumes, hat ihn sein Leben lang begleitet und steht bei all seinen Arbeiten im Vordergrund: "Auch wenn ich einen Sessel entwerfe, denke ich, metaphorisch gesagt, an die Stadt. Ich bin bei Roland Rainer eher als Urbanist beeinflusst worden, nicht so sehr als Architekt. Wenn ich ein Gebäude entwerfe, dann bemühe ich mich, eine doppelte Bedeutung zu vermitteln: seine spezifische Körperhaftigkeit und das Echo der Stadt, das es umgibt. Das bedeutet aber nicht, dass ich Stadtplanung betreibe, also die so genannte Raumordnung umsetze, sondern dass ich auch im einzelnen Objekt seine dialogische Teilnahme an der Stadt in den Vordergrund stelle, ja betone." Neben der Physis der Objekte stellt die konstante Bedeutung von Natur- und Kunstlicht eine weitere wichtige immaterielle Komponente in seinen Entwürfen dar. Dies spiegelt sich vor allem in Podreccas bereits über 30 quer durch Europa entworfenen öffentlichen Räumen wie auch in seinen zahlreichen Ausstellungsgestaltungen wider. Bauen im öffentlichen Raum ist für ihn eine Balance der Pluralität, wo es keine fixen Regeln gibt, weil die Konfiguration des öffentlichen Raumes meistens heterogen und hybrid ist. "In dieser turbokapitalistischen Zeit sind Städte überflutet worden von verschiedenen Reizen. Meine Aufgabe ist es, das zu relativieren, die Stadt zu reanimieren - zu einem neuen frischen Bild, wo man sich wohlfühlt", konstatiert Podrecca.
Skizze Boris Podrecca: Millennium Tower / Wien, Österreich, 1999
Ausgehend vom Bewusstsein und der Komplexität des Umfeldes muss der Planer dieses zeitkonform interpretieren und dessen Resonanz entwickeln. Wobei Podrecca immer versucht, die technischen, energetischen und ökonomischen Bedürfnisse in seiner neuen "Muskulatur" zu erfüllen und die Prinzipien von Typus und Topos weiterzuentwickeln: "Wenn ich an einem Ort arbeite, der eine eigenständige Kraft, eine Farbe und ein Temperament hat, dann passe ich mich gerne an. Aber wenn der Ort nicht stimmig oder verpatzt ist, dann forme ich eine Lösung absoluter, verschiedener, ja konträrer Identität." So entstand die unglaubliche Vielfalt in seinen Entwürfen, die als Ergebnis eines polyphonen Prozesses definiert werden. Durch diesen Ansatz haben seine Arbeiten keinen unmittelbaren Wiedererkennungswert. Er könne einen Bau als Architekt auch nicht signieren. Aber: "Wenn mich jemand kennt, dann sieht er das es von mir ist." Innovationen gibt es dabei immer. "Mich interessiert das Nervensystem der Architektur, die Spannungsfelder, die sich im Dialog miteinander befinden, daher suche ich nicht einen vordergründigen Stil als Antwort, sondern eine milieuintensivierende Verschiedenheit, die keine a priori geschlossene Poetik bietet." Die Modernität dieser Haltung hat Friedrich Achleitner als "Poetik der Unterschiede" bezeichnet.
Cvjetni, Passage, Büros, Apartments und Villen, Zagreb, Kroatien, 2009 © Miran Kambič
Bei seiner Arbeit greift Podrecca nach wie vor zu altbewährten Mitteln. "Ich zeichne, Ich zeichne, ich zeichne... als Polemik zu jungen Kollegen die in den Computer glotzen, dann fällt ihnen nichts mehr ein. Die Zeichnung ist der Zufall. Mit dem Bleistift kommt die neue Idee." Gleich über seinem Atelier hat sich der große Kunstliebhaber auf zwei Stockwerken auch sein persönliches Refugium geschaffen ("Ich wohne wie ein Tischler – im Betrieb"), und sammelt u.a. Stühle, was einen psychologischen Hintergrund gegen das Allein-Sein hat: "Ich kann nicht alleine wohnen. Ich bin kein Einsiedler. Wenn ich verurteilt bin allein zu sein, helfen diese Stühle – von Adolf Loos, Otto Wagner, Jože Plečnik – imaginär sitzen sie dort. Das heißt ich bin in ständigen Dialog mit ihnen, obwohl sie physisch nicht präsent sind."
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