Finanzexperte schlägt neues Modell für Lohnverhandlungen vor

Laut Peter Brezinschek hätten hohe Abschlüsse gravierende Auswirkungen auf die Ertragskraft und die Kernrate der Inflation. Deshalb plädiert er für Änderungen beim Anpassungsfaktor.

Nach über 40 Jahren Abwesenheit ist die Inflation zurückgekehrt. Sie ist auch deshalb ­so massiv und zweistellig in Erscheinung getreten, weil viele Ökonom:innen sie am Anfang als "Gespenst" und die EZB sie lange als "temporäres Phänomen" unterschätzt haben. Mittlerweile ist jedoch zumindest Entspannung in Sicht. Denn die Teuerungsraten sind zwar nach wie vor hoch, aber auf dem Rückzug. Auch in Österreich soll sich der Anstieg der Verbraucherpreise laut Expert:innen bis Jahresende 2023 deutlich nach unten bewegen. Deutlich ins Minus gerutschte Erzeuger- und Großhandelspreise (jeweils seit November 2022 rückläufig) seien den Einschätzungen zufolge gute Vorboten, dass dieser Trend auch bei den Verbraucherpreisen ankomme. So könnte in den ersten Monaten 2024 die Gesamt­inflationsrate bei günstigen Rahmenbedingungen eine drei oder niedrige vier vor dem Komma aufweisen.

Änderung der Verhandlungsgrundlage

Für die Lohnverhandlungen der kommenden Monate bedeutet dies laut dem neuen Börsianer-Chefökonom Peter Brezinschek (LEADERSNET berichtete) einen Lackmustest für die ökonomische Balance zwischen berechtigter Inflations­abgeltung und belastbarer Wettbewerbs­fähigkeit. Das heimische Prozedere setzt bei der Inflationsanpassung der letzten zwölf Monate an. Für die Metaller bedeutet dies plus 9,5 Prozent Verhandlungsgrundlage. Je später jedoch verhandelt wird, desto stärker sinkt der Anpassungsfaktor. Für Lohnverhandlungen ab Jänner 2024 wären es dann "nur" noch rund 7,8 Prozent. Die Verbraucherpreisindex (VPI)-Prognose Österreich für 2024 liegt aber bei rund 3,8 Prozent. Die Diskrepanz könnte nicht höher sein, so Brezinschek. In jedem Fall ein Drahtseilakt für beide Verhandlungsseiten. Vernünftigerweise sollten sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter:innen auf eine Änderung der Verhandlungsgrundlage bei den aktuellen Gesprächen ab dem kommenden Jahr einigen.

Vorschlag für neues Modell

Der Finanzexperte liefert auch einen konkreten Vorschlag: "Die Hälfte des Anpassungsfaktors kommt wie bisher aus dem Teuerungsschnitt der vergangenen zwölf Monate, die andere Hälfte aus dem Mittel der Wifo- und IHS-Inflations­prognose für das kommende Wirtschaftsjahr. Vorteil: Die Arbeitnehmer:innen bekämen früher eine Teuerungsabgeltung als im bisherigen Preiszyklus, was Reallohnsenkungen in der ersten Phase eines Inflationsanstiegs bremst oder sogar verhindert. Da höhere Inflations-abgeltungen schon früher einsetzen, wäre die Glättung der Lohnanpassung für Arbeitnehmer:innen ein Vorziehen und für Unternehmen in dieser Zeit der noch guten Konjunktur leichter zu stemmen." Überdies wären die Arbeitgeber:innen in der zweiten Phase des Zyklus, wo rückläufige Preissteigerungen und in manchen Sektoren sogar Preissenkungen eine Reaktion der einbrechenden Konjunkturentwicklung sind, nicht übermäßigen Lohnerhöhungen ausgesetzt, die nochmals die Kostenseite zur falschen Zeit treffen, ist der Börsianer-Chefökonom überzeugt. Sollte wie jetzt die österreichische Inflationsrate auch noch deutlich höher sein als bei den wichtigsten Handelspartnern, dann würde im neuen Modus auch die Konkurrenzfähigkeit nicht zu stark belastet. Dieser Berechnungsmodus – schon 2024 angewendet – wäre allerdings unfair, weil die Arbeitnehmer:innen in den ersten 2,5 Jahren des Inflationsanstieges unter der Teuerung abgegolten würden.

In jedem Fall müsste in den Lohnverhandlungen Brezinschek zufolge zwischen margenstarken und margenschwachen Branchen unterschieden werden. Einzelhandel, Tourismus und Gastronomie sowie verarbeitendes Gewerbe seien durch hohe Personalkosten charakterisiert. Abschlüsse nahe dem zweistelligen Bereich hätten gravierende Auswirkungen auf die Ertragskraft. Das Inflationsrad würde sich weiterdrehen, auch weil es bei öffentlichen Preisen Indexierungen gibt. Der Gebührenstopp beim Bund müsste daher alle Gebietskörperschaften erfassen.

Zinsen dürften länger hoch bleiben

Weiters verweist der langjährige Chefanalyst der Raiffeisen Bank International darauf, dass je höher die Lohnabschlüsse, desto stärker werde die Kernrate der In­flation, das ist der Gesamt-VPI minus Energie, Nahrungsmittel, Tabak, 2024 von der Gesamtteuerung nach oben abweichen. Da dies ein Trend in der gesamten Eurozone ist und die Geldpolitik der EZB primär auf die von Dienstleistungen und langlebigen Konsumgütern geprägte Kernrate fokussiert sei, heiße das für die Zinsen: "Sie bleiben höher, und das für längere Zeit", so Brezinschek abschließend.

www.derboersianer.com

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