Handelsverband warnt vor wirtschaftlichem Flächenbrand

| Tobias Seifried 
| 27.09.2022

Studie "Österreichs Handel in Zahlen" zeigt, dass sich Teuerung und Energiekrise bereits auf das Konsumverhalten auswirken.

Der Handel ist in Österreich einer der größten Wirtschaftssektoren und mit rund 600.000 Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgeber. Der private Konsum liefert rund 50 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt. Kein Wunder, dass das Interesse an der am Dienstag präsentierten Studie "Österreichs Handel in Zahlen" sehr groß war.

Im Rahmen dieser Untersuchung gingen Branchenradar.com Marktanalyse und der Handelsverband (HV) folgenden Fragen nach: Welche Produktgruppen haben die Privatausgaben im stationären Einzelhandel sowie im Onlinehandel 2021 angetrieben und welche Auswirkungen haben die Teuerung sowie die Energiekrise auf das Konsumverhalten. Darüber hinaus liefert der Report die erste Jahresprognose für das Gesamtjahr 2022.

Lebenskosten empfindlich gestiegen

Laut der Studie wurde das Leben der österreichischen Haushalte im laufenden Jahr empfindlich teurer. Obgleich sich die Bevölkerung nicht mehr leiste als 2021, würden die einzelhandelsrelevanten Haushaltsausgaben heuer gegenüber dem Vorjahr nominal um fünf Prozent auf 73,5 Milliarden Euro (2021: 70 Mrd.) steigen. Real bzw. inflationsbereinigt bedeute dies allerdings einen Rückgang von 0,3 Prozent. Insbesondere bei Elektrogeräten (real -2,9 Prozent), Einrichtungsgegenständen (-3,5 Prozent) und selbst bei Lebensmitteln (-5,8 Prozent) setzen die Haushalte den Sparstift an.

"Die Ausgaben der Österreicherinnen und Österreicher liegen im Krisenjahr 2022 voraussichtlich bei 73,5 Milliarden Euro. Dies ergibt eine Stagnation im heurigen Jahr, die jedoch auf wackeligen Beinen steht. Wegen der hohen Inflation sehen sich immer mehr Haushalte gezwungen, bei den Einkäufen zu sparen. Pandemiebedingte Nachholeffekte haben sich leider als Strohfeuer herausgestellt. Von einer Rückkehr zum Konsumverhalten wie vor Corona kann keine Rede sein, vielmehr schmilzt die Kaufkraft der Menschen rapide", erklärt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will die zentralen Ergebnisse der Studie. "Insgesamt sinken die Ausgaben für Elektrogeräte, IT, Möbel und Hausrat heuer inflationsbereinigt um mehr als drei Prozent. Bei Lebensmitteln erwarten wir sogar einen Rückgang von knapp sechs Prozent."

Wo wächst die Nachfrage?

Für die ungewöhnlich kräftige Kontraktion bei Lebensmittel sieht Studienautor Andreas Kreutzer von Kreutzer Fischer & Partner (KFP) im Wesentlichen zwei Gründe: "Erstens wurde die Gastronomie im heurigen Jahr – im Gegensatz zu 2021 – nicht mehr in einen Lockdown geschickt, sodass die Bevölkerung wieder mehr Außer-Haus konsumieren kann. Zweitens kaufen die Haushalte speziell beim täglichen Einkauf infolge der Teuerung verstärkt Handelsmarken in der Preiseinstiegslage."

Eine signifikant wachsende Nachfrage erwartet Kreutzer lediglich bei Produkten für Health Care, Körperpflege und Kosmetik sowie bei Mode- und Sportartikeln – wobei diese in den Pandemiejahren 2020 und 2021 besonders stark von den 152 Lockdown-Tagen betroffen waren. Preisbereinigt würden sich die Ausgaben für Mode um rund 17 Prozent, für Sportartikel um 12 Prozent und für Health Care, Körperpflege und Kosmetik um knapp 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöhen.

"Trotz einer Steigerung von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr liegen die Umsätze im Modehandel 2022 noch weit unter dem Niveau von 2015. Zu berücksichtigen sind bei diesen Zahlen natürlich auch die Schließungszeiten von rund 11 Wochen im Jahr 2021. Keine andere Handelsbranche hat in den letzten acht Jahren eine ähnlich schwierige Entwicklung erlebt und kein anderer Sektor hat stärker unter den Pandemiejahren 2020 und 2021 gelitten", sagt Norbert Scheele, Handelsverband-Vizepräsident und Head of Market von C&A.

eCommerce wächst nur mehr selektiv

Selbst der Onlinehandel – Wachstumskaiser der letzten 15 Jahre – wachse im Jahr 2022 aus heutiger Sicht nur noch in wenigen Warengruppen. Alles in allem sinke die Onlinequote erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt im Bereich der einzelhandelsrelevanten Ausgaben von 11,9 Prozent im Jahr 2021 auf 11,6 Prozent. Substanzielle Anteilsgewinne gebe es hier lediglich im Bereich Health Care, Körperpflege und Kosmetik, ein moderates Plus bei Elektrogeräten & IT und Druckwerken.

Rückläufig entwickle sich der eCommerce insbesondere bei Mode- und Sportartikel. So falle beispielsweise die Onlinequote im Bekleidungsbereich von 30 Prozent auf 25 Prozent und bei Sportartikel von 18 Prozent auf 16 Prozent. Für Letzteres sei im Wesentlichen die enorm hohe Nachfrage nach E-Bikes verantwortlich, die aufgrund des hohen Beratungsbedarfs überdurchschnittlich oft im stationären Handel erworben würden.

Handel vor existenziellen Herausforderungen

Die neuesten Zahlen von KFP würden die dramatische Lage, auf die der Handelsverband schon seit Monaten hinweist, bestätigen. "Jeder zweite Einzelhändler in Österreich sieht sich aufgrund der exorbitanten Energiepreise, der hohen Rohstoffkosten und des massiven Personalmangels in Existenzgefahr. Die Branche verzeichnet heuer bereits mehr Insolvenzen als in den Jahren 2020 und 2021 zusammen, die Schließungen nehmen ebenso breitflächig zu. 44 Prozent aller Betriebe leiden an Financial Long Covid", schlägt Rainer Will Alarm. "Die Regierung ist aufgefordert, die beihilferechtlichen Möglichkeiten der EU zu nutzen und den geplanten Energiekostenzuschuss derart anzupassen, dass auch Händler davon umfasst werden. Darüber hinaus braucht es mutige Strukturreformen, um die drohende Schließung von 6.000 Geschäften bis Jahresende zu verhindern."

Es sei jedoch noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Die Regierung sei jetzt gefordert, einen wirtschaftlichen Flächenbrand zu verhindern, so der Handelsverband und empfiehlt hierzu folgende 7 Maßnahmen:

  1. Energiekostenzuschuss für alle Handelsbetriebe, die mit einem starken Anstieg der Strom- und Gaspreise kämpfen
  2. Neuer Preisfindungsmechanismus für den europäischen Energiemarkt (Weiterentwicklung des Merit Order Systems auf EU-Ebene)
  3. Umfassende Arbeitsmarktreform, um dem Personalmangel entgegenzuwirken
  4. Durchgängige Abgaben- und Gebührenreform (u.a. Abschaffung der Mietvertragsgebühr)
  5. Weitere substanzielle Senkung der Lohnnebenkosten
  6. Flächendeckender Ausbau der Kinderbetreuung in ganz Österreich
  7. Zuverdienstgrenzen für Pensionist:innen am Arbeitsmarktes erweitern

www.handelsverband.at

www.branchenradar.com

www.kfp.at

Über die Studie "Österreichs Handel in Zahlen"

"Österreichs Handel in Zahlen" ist eine exklusiv für den Handelsverband erstellte Auskopplung der Studie "Private Haushaltsausgaben in Österreich", die vom Beraternetzwerk KREUTZER FISCHER & PARTNER im Juni 2022 erstellt wurde und für den freien Verkauf bestimmt ist.

Der Report bietet das präziseste Bild der Handelslandschaft und der Konsumentenausgaben in Österreich für die Jahre 2016 bis 2022 und geht tief in die einzelnen Produktgruppen hinein. Insgesamt wurden 66 Produktgruppen und 14 einzelhandelsrelevante Kategorien definiert.

Als Datenquellen diente das BRANCHENRADAR-Studienprogramm des Jahres 2022 sowie andere öffentlich zugängliche Marktstatistiken und Erhebungen von Statistik Austria. 

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

Über die Studie "Österreichs Handel in Zahlen"

"Österreichs Handel in Zahlen" ist eine exklusiv für den Handelsverband erstellte Auskopplung der Studie "Private Haushaltsausgaben in Österreich", die vom Beraternetzwerk KREUTZER FISCHER & PARTNER im Juni 2022 erstellt wurde und für den freien Verkauf bestimmt ist.

Der Report bietet das präziseste Bild der Handelslandschaft und der Konsumentenausgaben in Österreich für die Jahre 2016 bis 2022 und geht tief in die einzelnen Produktgruppen hinein. Insgesamt wurden 66 Produktgruppen und 14 einzelhandelsrelevante Kategorien definiert.

Als Datenquellen diente das BRANCHENRADAR-Studienprogramm des Jahres 2022 sowie andere öffentlich zugängliche Marktstatistiken und Erhebungen von Statistik Austria. 

leadersnet.TV