Aktuelle Krisen wirken sich auf den Einzelhandels-Immobilienmarkt aus

| Tobias Seifried 
| 19.07.2022

Laut einem EHL-Update ist die Entwicklung in Österreich vor allem vom Ukrainekrieg geprägt.

Der österreichische Einzelhandelsmarkt ist – wie auch die gesamte österreichische und europäische Wirtschaft – seit Monaten von den ökonomischen Folgen des Ukrainekriegs geprägt. Die massiven wirtschaftlichen Verwerfungen haben die Situation für den Handel in vielerlei Hinsicht verschlechtert. Das Konsumklima hat sich umfassend eingetrübt, die schweren Probleme bei den globalen Lieferketten führen dazu, dass Waren teilweise nur mit großer Verzögerung verfügbar sind, die Einkaufspreise sind deutlich gestiegen und die hohen Energiekosten schlagen sich auch in den Kostenstrukturen der Einzelhändler nieder. Darauf hat am Dienstag auch der Handelsverband (HV) verwiesen und von einer Herkulesaufgabe für die Branche gesprochen (LEADERSNET berichtete).

Ukrainekrise überlagert positive Entwicklungen

Das Resultat dieser vielzähligen Herausforderungen lässt sich in den Kennzahlen der Handelsbranche deutlich ablesen. Laut HV lagen die Einzelhandelsumsätze im zweiten Quartal 2022 um acht Prozent unter den Vergleichswerten des Vorjahrs, rein auf den Non-Food-Bereich bezogen fiel der Rückgang noch stärker aus. In etwas geringerem Maße ist auch die Gastronomie von der Krise erfasst. Die Hauptprobleme sind hier die deutlich gestiegenen Einkaufspreise sowie der immer stärker zu verspürende Personalmangel. Die in Form höherer Preise weitergegebenen Kostensteigerungen trüben die Konsumlaune der Gäste.

Die Ukrainekrise überlagert derzeit einige durchaus positive Entwicklungen: Die weitgehende Aufhebung der Coronabeschränkungen und die bis Jänner erfreulichen Konjunkturaussichten ließen einen deutlichen Aufschwung erwarten. Auch die große Zahl neu auf den Markt kommender Handelskonzepte stimmt optimistisch, dass der stationäre Einzelhandel die Herausforderung durch die Online-Konkurrenz in Innovation und neue Dynamik verwandeln kann. Ein Pluspunkt ist zudem die Rückkehr des Städtetourismus, der wieder einen größeren Beitrag zu den Einzelhandelsumsätzen leistet.

Einzelhandelsimmobilienmarkt

Welche Auswirkungen das alles auf den Einzelhandelsimmobilienmarkt hat, hat sich die EHL angesehen und ein Update zum ersten Halbjahr 2022 veröffentlicht.

  • Flächennachfrage

Demnach ist die Flächennachfrage als Folge der schwachen Einzelhandelsentwicklung kurzfristig sehr deutlich zurückgegangen. Zu den Gewinnern der aktuellen Situation zählen Non-Food-Diskonter wie beispielsweise Action, NKD oder TEDi, die weiterhin expandieren und Standorte für zusätzliche Filialen suchen. Interesse an innerstädtischen Standorten gebe es auch vom Möbelhandel und neuen Showroom-Konzepten. Unverändert gut sei die Nachfrage seitens des Lebensmittelhandels, der traditionell wenig krisenempfindlich ist. Auffällig sei jedoch, dass auch in diesem Marktsegment Diskonter bzw. die Diskontlinien integrierter Handelskonzerne zusätzliche Flächen suchen, da viele Konsument:innen die allgemeinen Preissteigerungen mit dem Griff zu günstigeren Produkten zu kompensieren versuchen. Nichtsdestoweniger würden ausgewählte Luxusmarken in Spitzenlagen trotz des schwierigen Umfelds neue Flächen anmieten. Das prominenteste Beispiel hierfür sei Bulgari, das Label hat vor kurzem in Wien am Kohlmarkt einen neuen und sehr sehenswerten Store eröffnet. Auch einige weitere internationale Spitzenmarken würden derzeit insbesondere in der Innenstadt Möglichkeiten für neue Filialen und Flagshipstores prüfen. In diesem Marktsegment gebe es weiterhin einen Nachfrageüberhang und freiwerdende Flächen könnten in kürzester Zeit neu verwertet werden. In einigen anderen Marktsegmenten sei hingegen ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen: Zusätzliche Flächen würden nur vereinzelt angemietet, zahlreiche bereits weit fortgeschrittene Mietverhandlungen "on hold" gestellt, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Zudem werden laut dem EHL-Report auslaufende Mietverträge in durchaus nennenswertem Maße nicht verlängert und Flächen zurückgegeben. Prominente Beispiele dafür seien etwa die Schließung eines großen Benetton-Shops oder die Reduktion der Mietfläche bei Peek & Cloppenburg (von bisher sechs auf künftig nur mehr fünf Etagen für den Verkauf) auf der Mariahilfer Straße. Reduktionen würden allerdings oft mit umfassenden Umbau- und Modernisierungsarbeiten verbunden, um die verbleibenden Flächen aufzuwerten und zu optimieren.

  • Flächenbestand und -angebot

Angebotsseitig gebe es auf dem Markt für Einzelhandelsimmobilien schon seit geraumer Zeit relativ wenig Bewegung. Investitionen würden am ehesten in die Verbesserung bestehender Objekte fließen, zusätzliche Flächen werden kaum geschaffen. Am ehesten erfolge dies im Rahmen von Wohnbauprojekten, bei denen in den Erdgeschoßzonen Einzelhandelsbereiche angesiedelt sind. Eine positive Flächenbilanz gibt es (laut Standort + Markt) im Bereich der Fachmarktzentren – seit 2019 wurden beispielsweise 17 Fachmarktagglomerationen neu eröffnet – was u.a. auch auf die gute Entwicklung des Lebensmitteleinzelhandels, der Drogeriemärkte und der Non-Food-Diskonter zurückzuführen sei. Insgesamt werden aber weiterhin mehr Flächen aus dem Markt genommen als hinzukommen, das geschehe laut der EHL vor allem in schwächeren Stadtlagen. Damit sinke die Verkaufsfläche pro Einwohner, was in Anbetracht des deutlich über dem europäischen Schnitt liegenden Werts durchaus vorhersehbar gewesen sei.

  • Mietentwicklung

Aufgrund der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Situation, der gesunkenen Nachfrage und der Befürchtung erheblicher Betriebskostennachzahlungen sowie künftig deutlich steigender Betriebskosten aufgrund der hohen Energiepreise dürften die Mieten der Analyse zufolge immer mehr unter Druck geraten. Je nach Lage sei das allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß der Fall. Am wenigsten seien die Toplagen in Shopping-Centern, Fachmarktzentren und Innenstädten betroffen, in denen Interessenten teilweise weiterhin auf freiwerdende Flächen warten, um bereits länger geplante Ansiedlungen realisieren zu können. Seitens des Handels werde immer öfter darauf hingewiesen, dass die wegen der hohen Inflation anstehenden Mietsteigerungen durch die Indexierung aktuell nur schwer finanzierbar seien. In einigen Fällen werde es auch tatsächlich erforderlich sein, hier Kompromisse zu akzeptieren, um Ausfälle zu vermeiden. Bei der Verlängerung von Verträgen und Neuvermietungen werde - bei den aktuellen Rahmenbedingungen - eine Durchsetzung der bestehenden Mieten plus Indexierung oft nur schwer möglich sein. Die EHL geht davon aus, dass die Entwicklung der Einzelhandelsmieten daher insgesamt zumindest hinter der Inflationsrate zurückbleiben werde, echte Rückgänge seien derzeit aber nicht die Regel.

  • Ausblick

Ein Blick in die Zukunft gestaltet sich derzeit schwierig. Das Immobilienunternehmen wagt ihn dennoch. Den Expert:innen zufolge sei im Bereich Flächenangebot und Flächennachfrage kurzfristig mit einer weitgehenden Stagnation zu rechnen, da weder Einzelhändler noch Investor:innen in der aktuell schwierigen und unsicheren Wirtschaftslage Risiken eingehen wollen. Wie sich die Situation mittelfristig entwickeln wird, hänge daher auch in hohem Ausmaß von der Dauer des Ukrainekonflikts und der damit verbundenen Gas- und Energiekrise ab. Solange diese Gegebenheiten herrschen, werden auch die Mietpreise unter Druck bleiben. Bei einer Normalisierung des ökonomischen Umfelds sei zu erwarten, dass der Einzelhandel an die positiven Trends, die bis zur Ukrainekrise zu registrieren waren, anknüpfen werde: Änderung der Branchenstrukturen in Einkaufsstraßen und Einkaufszentren durch die rückläufige Bedeutung von Branchen wie Textil oder Schuhe und steigende Anteile von Lebensmittel, Sport und Diskontern, Wiederentdeckung urbaner Standorte durch traditionell an der Peripherie angesiedelte Branchen wie den Möbelhandel, Verknüpfung von Online- und Offline-Konzepten unter dem Schlagwort "Phygital" (Physisch + Digital) und weitere Konzentration auf die Toplagen.

Eines steht laut dem EHL-Report jedenfalls fest: Unabhängig von konjunkturbedingten Unwägbarkeiten werde das Thema Nachhaltigkeit massiv an Bedeutung gewinnen. Der gesetzlich verlangte Ausstieg aus Öl und Gas umfasse auch Einzelhandelsflächen und für Investoren werde die EU-Taxonomie erheblichen Handlungsbedarf zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit bringen.

www.ehl.at/retail

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