An der Social-Audio-App Clubhouse kommt dieser Tage niemand vorbei, sie wird von Schauspielern wie Jared Leto genutzt, ist Gesprächsthema unter Start-up-Gründern und Tech-Interessierten sowie allen, die sowieso immer und überall dabei sein wollen (LEADERSNET berichtete).
Und auch aus Österreich sind prominente Gesichter höchst aktiv, allen voran ist wohl WKO-Präsident Mahrer zum "Guru" avanciert: Nach zwei Tagen auf der Plattform hatte er über 1000 Follower und seine ersten Talks mit der deutschen Digitalisierungsministerin Doro Bär und den beiden Unternehmern Markus Fuhrmann und Frank Thele verzeichneten weit mehr als 2000 Zuhörer. Das Format passe Mahrer zufolge genau zu dieser Zeit. Jeder kann jedem Fragen stellen und man "kann sich sehr niederschwellig mit Menschen aus der ganzen Welt unterhalten und Ideen austauschen".
Der Hype geht an der Investorenszene natürlich nicht vorbei. Mit Andreessen Horowitz wurde ein potenter Investor an Bord geholt, der die App in der neuen Finanzierungsrunde Gerüchten zufolge mit einer Milliarde Dollar bewertet. Falls sich die Medienberichte bewahrheiten, wäre Clubhouse das nächste große "Unicorn".
Mit dem neuen "Creator Grant Program" werden bald aktive und wachsende Talente gezielt gefördert und erste Tests in Sachen Monetarisierung sollen in Kürze starten: So sollen mit Spenden, Tickets und Abonnements Veranstalter auf die Plattform gebracht werden, um virtuelle Events abzuhalten. Pläne für Premium-Mitgliedschaften oder Werbebanner sind bis dato nicht durchgesickert.
Aber es werden auch immer mehr kritische Stimmen laut. So gebe es beispielsweise große Probleme mit dem Datenschutz. LEADERSNET hat Victoria Überreich, Gründerin der Agentur digireich in Salzburg und zuletzt Head of Digital Communications bei Red Bull, Clubhouse Nutzerin der ersten Stunde, Host und Speakerin, zum Interview gebeten.
LEADERSNET: Was ist Clubhouse? Wie kam es zu dem Hype und ist er gekommen, um zu bleiben?
Überreich: Eine neue Social Media App und die Digital Marketing Welt steht Kopf. Zu verdanken ist das den Deutschen Philipp Glöckler & Philipp Klöckner, die den Tech-Talk Podcast Doppelgänger produzieren. Sie haben sich aus den USA einen Invite zur aktuellen Beta Version gecheckt und gemeinsam mit ihren Hörern und einer Telegram Gruppe für den entsprechenden Schneeballeffekt gesorgt. Growth Hacking eben. In Österreich gehört Florian Gschwandtner zu einen der ersten aktiven Nutzer.
Clubhouse ist eine Drop-In Audio Chat App, wo sich User live in sogenannten Räumen unterhalten können. Die Audio Plattform läuft derzeit nur auf iOS und weiterhin werden Invites benötigt. Manche schaffens durch die "Hintertür" und werden von Freunden, die bereits auf der Plattform sind, "durchgewunken". Jeder User bekommt zwei Invites, ist man einmal Host oder Speaker in einem Room sammelt man zusätzliche Einladungen, die man an seine Kontakte per SMS versenden kann.
LEADERSNET: Spielt hier auch eine "Fear of missing out" eine tragende Rolle?
Überreich: Ja, ist man einmal drin, erwischt einen auch schon die #FOMO (Fear of missing out). Die Räume sind wie Live Podcasts und haben eine Talkshow Charakter. Mit dem Vorteil, dass man ganz einfach durch "raise your hand" etwas zur Diskussion beitragen kann. Mit viel Spontanität ist die Beteiligungshürde durch das audio-only verschwindend gering und bietet eine super Alternative zu den sonst sehr Bild und Text basierten Social Plattformen. Einmal in einem Raum angekommen fühlen wir uns so nah wie schon lange nicht mehr.
Das macht es auch sehr schwer einzuschätzen, ob sich die App halten wird. Den durch den aktuellen Lockdown spiegelt die Anwendung unseren Zeitgeist wider. Der große Hype ist sicher in den nächsten Wochen vorbei – ich glaube allerdings, die App ist gekommen, um zu bleiben. Viele Formate sind sehr zukunftsträchtig.
LEADERSNET: Wie kann Clubhouse für Unternehmen funktionieren?
Überreich: Fehlende Statistiken und geringe Nutzerzahlen geben noch kaum Aufschluss über die Relevanz der App für Unternehmen. Doch gerade jetzt wäre die Möglichkeit groß, mit innovativen Marketing Strategien neue Maßstäbe zu setzen. Eine große Portion Kreativität, Mut und Schnelligkeit sind dabei gefragt.
Im Vordergrund stehen Personal Brands. Clubhouse schreibt auf der Website "the service is for personal use". Das Persönliche ist die Chance. Denn so treffen sich CEO’s wie Mathias Döpfner vom Springer Verlae oder Marcus Grausam von A1 zu einem Talk und sorgen für spannende Inhalte und on top für starkes Employer Branding. Oder Joko Winterscheidt, der mit einem behind the scenes Room zu seiner Sendung "Wer stiehlt mir die Show" die eigene Sendung pusht.
LEADERSNET: Für welche Branchen kann Clubhouse besonders interessant werden?
Überreich: Großes Potential sehe ich auch für die Medienbranche – Journalisten können super ihre Expertise und Glaubwürdigkeit aufladen. Die Tech-Branche ist die ohnehin schon Mittendrin.
Auch wenn sich momentan größtenteils die Startup- und Marketing Bubble auf Clubhouse herum treibt, sollte man offen sein für das neuen Live Audio Format. Schlussendlich hat man selten die Möglichkeit, so nah und authentisch mit der Community zu kommunizieren.
LEADERSNET: Was ist die Kehrseite von Clubhouse?
Überreich: Die Kehrseite ist momentan mit Sicherheit das Datenthema. Datenschützer warnen vor der Nutzung und das nicht zu Unrecht. Für Invites muss man beispielsweise sein gesamtes Telefonbuch hochladen. Das machen die User meist ohne mit der Wimper zu zucken. Da möchte ich mich nicht davon ausnehmen. Doch gerade hier ist Vorsicht geboten
Einerseits gibt man so an Alpha Exploration, so heißt das Unternehmen hinter Clubhouse, Personendaten weiter. Auch von vielen, die Clubhouse noch gar nicht nützen. Streng genommen verstößt man hier selbst schon gegen die DSGVO, da man jeden Kontakt fragen müsste. Da sollte man vor allem mit Kontakten am Firmenhandy aufpassen.
Andererseits hat Alpha Exploration noch keinen Firmensitz in der EU und die Daten wandern schnurstracks auf einen Server in die USA. Dies verstößt klar gegen die aktuellen Datenvorschriften der EU.
LEADERSNET: Werden die Talks auch aufgezeichnet?
Überreich: Clubhouse selbst zeichnet die Gespräche in den Räumen auf, zumindest temporär, geben sie in einem Beitrag bekannt. Dies gilt allerdings nur zu Kontrollzwecken, um Missbrauch oder radikalen Moderatoren auf die Spur zu kommen. Mit Community Guidelines und Report Funktionen soll ebenfalls der Missbrauch verhindert werden. Doch tummeln sich trotzdem schon haufenweise Fake Profile auf der Plattform. Letze Woche gab es zB mehrere Thomas Gottschalk ;).
LEADERSNET: Wie funktioniert eigentlich das Geschäftsmodell von Clubhouse?
Überreich: Das Business Model der App bleibt noch fraglich, aber offensichtlich soll zukünftig mit Daten Geld verdient werden. Für Unternehmen könnten Clubs zukünftig zu einer Monetarisierungsmöglichkeit werden – wenn man hier mit Mitgliederfees arbeitet. So könnte zB eine OMR (Online Marketing Rockstars) als Digital Konferenz auch auf Clubhouse stattfinden.
LEADERSNET: Welche Social Media Trends gibt es derzeit abseits von Clubhouse?
Überreich: Die Platzhirschen Facebook und Instagram sind weiterhin die Marktführer, daran wird sich auch 2021 so schnell nichts ändern. Facebook verliert jedoch nach und nach an LinkedIn. LinkedIn hat 2020 einen immensen Aufschwung erlebt. Neue Features wie LinkedIn Live und Work from Home haben das Wachstum von LinkedIn gepusht. Diese Entwicklung wird sich 2021 fortsetzen.
Wer in einer jungen Zielgruppe mitmischen möchte, kommt um TikTok nicht herum. Bis jetzt sind Brands noch sehr zurückhaltend auf TikTok – das kann an rechtlich-ethischen Bedenken liegen oder daran, dass die Plattform von den Marketern oft noch nicht gut genug verstanden wird.
Auch in der 1:1 Kommunikation tut sich einiges. What’s App aktualisiert die AGBs und liefert zukünftig mehr Daten an den Mutterkonzern Facebook. Werbung via What’s App und mehr Social Media Features auch für Unternehmen sind somit nur eine Frage der Zeit. Die Alternative Signal ist bereits in den App Download Charts.
LEADERSNET: Welche Tipps können Sie uns für erfolgreiches Social Media Marketing 2021 geben?
Überreich: Kreativität ist unerlässlich. Die erfolgreiche Einführung des neuen Instagram Videoformats Reels zeigt, dass der Kreativität der User keine Grenzen gesetzt sind. Der Trend ist klar – der Online Konsument möchte selbst zum Content Creator werden. Neue Formate fördern die Gestaltungsfreiheit, so beispielsweise auch augmented Features wie Filter.
LEADERSNET: Worauf soll man im B2B-Bereich setzen?
Überreich: Für Unternehmen heißt das mehr denn je, authentische und unterhaltende Inhalte zu veröffentlichen. Es muss nicht immer die 5k-Videoproduktion sein, oft sind mobile Inhalte mit einer guten Idee umgesetzt stärker. Kreativität schlägt meiner Meinung nach Qualität.
Zudem lohnt es sich auf interne Social Media Mitarbeiter zu setzen. Der Social Media Manager ist in vielen Bereichen eine Schlüsselstelle und stellt den direkt Draht zum Endkonsumenten dar. Ich kann daher nur empfehlen, auf einen guten Mix von externen Know How und interne Mitarbeiter zu setzen, die regelmäßig Trainings besuchen.
Brands sollten auf nischige Gruppen und Communities setzen, egal ob es der Austausch in einer Facebook Gruppe ist oder der nächste Clubhouse Talk. Unternehmen lernen dabei die Needs der eigene Zielgruppe besser kennen, schaffen eine enge Bindung und bauen sich somit die besten Markenbotschafter auf. (jw)
www.joinclubhouse.com
www.digireich.com
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