LEADERSNET: Wir befinden uns in einer äußerst spannenden Zeit. In einem Interview im Rahmen unseres Krisentalks "5 VOR 12" haben Sie gesagt, dass Sie im letzten Quartal 2020 mit einem exorbitanten Anstieg der Insolvenzen rechnen. Im Moment schaut es so aus, als würde es doch nicht so weit kommen. Heißt das, dass wir die Wirtschaftskrise gut gemeistert haben oder dass dieser Prozess nur etwas nach hinten verschoben wurde?
Vybiral: Es haben sich ein paar Rahmenbedingungen geändert. So hat man sich entschieden, die Steuern und die Sozialversicherungsbeiträge weiterhin zu stunden. Man wollte damit den Unternehmern, die gerade natürlich unter einem massivem Druck stehen, etwas von der Last von den Schultern nehmen. Wir haben also aktuell die Situation, dass die beiden größten Insolvenz-Antragsteller, sprich die Österreichischen Gesundheitskassen und die Finanzämter derzeit weiterhin sehr kulant agieren und versuchen den Unternehmern dabei zu helfen, über die schwierigste Phase drüber zu kommen.
LEADERSNET: Heißt das, dass die Bombe zu einem späteren Zeitpunkt platzen wird?
Vybiral: Ob die Bombe wirklich platzt, können wir jetzt noch nicht sagen, da wir nicht wissen, ob die Regierung ihren Rettungsschirm, der ja schon relativ groß ist, vielleicht noch ein bisschen größer auffächert. Insofern kann es natürlich sein, dass weitere Maßnahmen auf bestimmte Branchen abgestimmt werden. Gewisse Branchen sind von der Krise besonders stark betroffen. Deshalb gibt es sowohl in der Wirtschaftskammer als auch auf Regierungsebene Überlegungen, diesen Branchen stärker unter die Arme zu greifen. Aber es wird tatsächlich so sein, dass es ab dem nächsten Jahr – sollte diese Stundung nicht weiter erfolgen – ein starkes Wachstum im Bereich der Insolvenzen geben wird.
LEADERSNET: In konkreten Zahlen gesprochen: Um wie viel werden die Insolvenzen im Vergleich zu den vergangenen Jahren anwachsen?
Vybiral: Im Vergleich zu 2019 werden wir nächstes Jahr sehr wahrscheinlich einen Zuwachs im zweistelligen Prozentbereich haben. Es kann durchaus in Richtung 20 Prozent mehr Insolvenzen gehen. Aber es wird eben sehr stark davon abhängen, inwiefern jetzt noch Maßnahmen gesetzt oder eben nicht gesetzt werden. Deswegen ist das im Moment noch ein wenig Kaffesud lesen.
LEADERSNET: Hat die Regierung, im Nachhinein gesehen, alles oder vieles richtig gemacht oder hätte es im wirtschaftlichen Bereich andere Maßnahmen gebraucht?
Vybiral: Ich glaube, dass die Regierung etwas sehr gut gemacht hat, nämlich das schnelle Reagieren auf die für alle neue Situation – sowohl was die wirtschaftlichen als auch die gesundheitlichen Maßnahmen betrifft. Was man im Nachhinein vielleicht anders machen hätte sollen, ist, bei den Staatshilfen selektiver vorzugehen. Sprich, welche Staatshilfen gebe ich welchen Unternehmen? Und sind diese Unternehmen auch in der Lage, langfristig zu überleben? Es macht aktuell mehr Sinn – und dafür sprechen wir uns auch aus – Unternehmen, die heute schon in einer misslichen Lage sind und einen großen Schuldenberg vor sich hertragen, zu sagen: "Geht's lieber in eine Insolvenz." So hart das auch klingen mag.
Aber wir brauchen mehr Mut zu einer Insolvenz und zu einem Sanierungsverfahren. Eine Insolvenz bedeutet ja auch immer, dass man in ein Sanierungsverfahren gehen kann. Ich glaube, dass das Verständnis von Gläubigern gegenüber Schuldnern heute weit größer ist, als in einer Phase der Hochkonjunktur. Wir sind in einer Situation, wo Gläubiger verstehen, dass es eine unverschuldete Situation ist und sie bereit sind, dem Schuldner entgegen zu kommen. Wir appellieren deshalb auch an die Regierung, einen Weg zu finden, um starke Unternehmen, die es genauso hart getroffen hat, zu fördern, und jene Unternehmen, die einen wirklich großen Schuldenberg vor sich hertragen, zu animieren, in ein Sanierungsverfahren zu gehen. Sanierungsverfahren deshalb, weil es wichtig ist, dass diese Unternehmen nicht liquidiert werden. Ein liquidiertes Unternehmen ist nämlich ein Unternehmen, das es künftig nicht mehr gibt.
LEADERSNET: Sie haben im Vorgespräch zu diesem Interview gesagt, dass Österreich wirtschaftlich nicht zu einem Museum werden darf. Was meinen Sie damit?
Vybiral: Das heißt, dass wir uns nicht nur mit dem Jetzt beschäftigen sollten, sondern auch mit der Zukunft. Aufgrund der Krise ist es natürlich so, dass wir uns sehr stark mit der aktuellen Situation beschäftigen. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns nicht gleichzeitig auch mit der Zukunft beschäftigen sollten. Hier gilt es die Bereiche Infrastruktur, Klima, Digitalisierung oder Technologisierung im Auge zu behalten. Und hier haben wir Aufholbedarf. Wir haben schon vor der Krise gesehen, dass in Österreich 70 Prozent der Unternehmen keine Digitalisierungsagenda haben. Ironischerweise hat gerade die aktuelle Krise dafür gesorgt, dass in diesem Bereich die Dinge schneller vorangehen. Aber – und hier sage ich bewusst aber – wir müssen in die Zukunft investieren. Es müssen konkrete Investitionsmaßnahmen getroffen werden, die in die Technologisierung und in die Digitalisierung gehen. Das ist ganz entscheidend. Denn wenn wir das heute nicht tun, dann wird es dafür zu spät sein. Es gibt, auf die kommenden 20 Jahre gesehen, ganz viele Themen, mit denen wir uns heute schon beschäftigen müssen – trotz Corona. Das heißt, wir können uns nicht ausschließlich auf Corona fokussieren, auch wenn das sehr wichtig ist. Auf der einen Seite müssen wir heute Menschenleben und Unternehmen sichern, auf der anderen Seite müssen wir aber als Unternehmer in der Lage sein, in einer Zukunft zu wirtschaften, die auch für unsere Kinder lebenswert ist. Deswegen ist es so entscheidend, sich spätestens jetzt mit dieser Zukunft zu beschäftigen. Wenn wir das nicht tun, dann haben wir einen schlechten Job gemacht.
LEADERSNET: Wie kann das Ihrer Meinung nach gelingen?
Vybiral: Entscheidend dabei ist, dass wir nicht nur eindimensional, sprich nur in eine Richtung, denken dürfen – egal, ob es Wirtschaft, Gesellschaft oder Klima ist. Ich glaube, die Herausforderung liegt darin, dass wir heute Entscheidungen so ausbalanciert wie möglich treffen müssen, damit wir langfristig die Herausforderungen, meistern können, nachhaltig gut über die Runden kommen und dass wir als Menschen gut überleben können.
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