"Wir sind am Beginn des Internets auf Blockchain-Basis"

Alfred Taudes gilt als Bitcoin & Co. Experte. Der WU-Professor spricht beim Europäischen Forum Alpbach über die Revolution, die die Blockchain-Technologie auslösen wird.

Im Jänner hat die Wirtschaftsuniversität Wien (WU) das Forschungsinstitut für Kryptoökonomie eingerichtet, um die Kompetenzen und das vielfältige vorhandene Fachwissen rund um das Thema Kryptoökonomie optimal zu bündeln. Das neu gegründete Institut reagiert auf den wissenschaftlichen Bedarf, der sich aus der Aktualität und Vielschichtigkeit dieser boomenden neuen Technologie ergibt. Bitcoin, Ethereum und andere sogenannte Kryptowährungen sowie ihre zugrunde liegende Technologie der Blockchain und Smart Contracts hat in den letzten Jahren eine Welle von technologischen Innovationen ausgelöst.

Mit der wissenschaftlichen Leitung des Forschungsinstituts für Kryptoökonomie wurde Professor Alfred Taudes betraut. LEADERSNET hat den Wissenschaftler anlässlich seiner Teilnahme am Europäischen Forum Alpbach zum Interview getroffen und sich mit ihm darüber unterhalten, was Kryptoökonomie überhaupt ist, ob der Bitcoin eine Zukunft hat und wie die Blockchain-Technologie unsere Zukunft radikal verändern wird.

LEADERSNET: Anfang des Jahres hat das Forschungsinsitut für Kryptoökonomie der WU Wien, dessen wissenschaftlicher Leiter Sie sind, seine Arbeit aufgenommen. Worum handelt es sich bei Kryptoökonomie?

Taudes: Kryptoökonomie ist ein neues Forschungsgebiet im Schnittpunkt zwischen Kryptographie und Spieltheorie. Ausgangspunkt ist das Bitcoin White Paper von Satoshi Nakamoto. Dieses verwendet Hashfunktionen und asymmetrische Verschlüsselung zur permanenten Speicherung von Transaktionen in einer Blockchain und stellt durch ökonomische Anreize (Bitcoin Mining) spieltheoretisch einen konsistenten Systemzustand trotz verteilter Datenhaltung her. In weiterer Folge hat sich herausgestellt dass dieses Prinzip generell anwendbar ist und als Basis einer neuen digitalen Ökonomie dienen kann.

LEADERSNET: Und woran wird am Forschungsinsitut für Kryptoökonomie konkret geforscht?

Taudes: Am Forschungsinstitut für Kryptoökonomie bündeln 30 Wissenschaftler aus verschiedenen Departments der WU Wien ihre Forschung. Das erste Forschungsprojekt des Instituts "Programming for a Sustainable World" widmet sich dem Thema Blockchain und Nachhaltigkeit. Kooperationspartner sind das RCE Wien (Regional Centre of Expertise zur Bildung für nachhaltige Entwicklung), UNIDO sowie andere nationale und internationale Regierungseinrichtungen und NGOs. Eine Forschungspartnerschaft mit der Stadt Wien wurde ebenfalls bereits angebahnt. Weitere interdisziplinäre Forschungsprojekte behandeln interorganisationale Geschäftsprozesse auf Blockchain-Basis mit Anwendungen in den Bereichen Außenhandelsfinanzierung, Supply Chains und Services, Anreizmechnismen im Mining, Kryptoasset Pricing, Geldtheorie von Kryptowährungen, Innovationsmanagement und Kryptoökonomie sowie rechtliche Fragen. Das Forschungsinstitut hat auch das Austrian Blockchain Center als Netzwerk von Blockchain Forschergruppen an österreichischen und internationalen Universitäten initiiert und unterstützt ein mehr als 100 Mitglieder umfassendes Student Chapter.

LEADERSNET: Das Thema Kryptowährungen hat im vergangenen Jahr erstmals die breite Öffentlichkeit erreicht und für diverse Schlagzeilen gesorgt – vor allem der große Kursgewinn und zuletzt -verlust der Bitcoins. Welche Zukunft prophezeien Sie den Kryptowährungen?

Taudes: Je nach Art des Tokens (Währung) stellt sich die Situation unterschiedlich dar. Bitcoin ist eine Art digitales Gold, und daher umso nachgefragter je geringer das Vertrauen in klassische Währungen ist. Laut Umfragen besitzt in Österreich acht Prozent der Bevölkerung Bitcoins oder ähnliches, in der Türkei 18 Prozent. Einflussnahmen der Politik auf die Währungspolitik und Handelskriege, die sich zu Währungskriegen entwickeln, sprechen für eine zunehmende Bedeutung von supranationalen Zahlungsmittel und Wertspeicher. Der Wert von Utility Tokens hängt von der Popularität der entsprechenden Anwendung ab. Einige dieser Token sind bereits wertlos, weil der ICO (Initial Coin Offering) betrügerisch war und gar keine Anwendung entwickelt wurde, andere werden wertlos werden, weil sich keine Nutzer einstellen. Tokens von Plattformen wie Ethereum hängen mittelbar damit zusammen, ihr Wert wird durch darauf laufenden Anwendungen bestimmt. Tokens, die an reale oder Finanzwerte gekoppelt sind, sind an deren Wertentwicklung gebunden. Insbesondere in diesem Bereich ist die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die künftige Wertentwicklung relevant.

LEADERSNET: Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation des Marktes. Ist der Preisverfall von Bitcoin in den vergangenen Monaten die Einpendlung auf ein realistisches Maß oder sind auch wieder Höhenflüge wie im vergangenen Jahr möglich?

Taudes: Bitcoin hat bereits mehrere Phasen von starkem Kursanstieg und Kursverfall um 75 Prozent erlebt. Die Bodenbildung erfolgte dabei aber immer über dem letzten Tiefststand, das heißt langfristig ist ein Aufwärtstrend intakt. Nach dem Abfall folgte immer eine längerdauernde Seitwärtsbewegung, und ich gehe auch diesmal von einem derartigen Verlauf aus. Wann und auf welche Höhe der Kurs beim nächsten Mal steigt lässt sich nicht sagen, das hängt davon ab, wie sich klassische Währungen entwickeln und wie schnell die Diffusion von Anwendungen auf Blockchain-Basis vor sich geht.

LEADERSNET: In welchen Bereichen weiteren wird die Blockchain-Technologie in Zukunft noch eine tragende Rolle spielen?

Taudes: Bitcoin ist die erste Anwendung der Blockchain-Technologie, so wie E-Mail die erste Anwendung des Internetprotokolls http war. Dieser Satz alleine zeigt, wo wir heute stehen, nämlich am Beginn des Internet 3.0, eines Internets auf Blockchain-Basis. Derzeit sind für alle wesentlichen Internetplattformen dezentrale Alternativen in Entwicklung, die die bei Google und Co. bestehenden Problembereiche Datenschutz, Zensur und Abnahme der Innovationsdynamik in Angriff nehmen. Auch klassische Intermediäre müssen mit neuer Konkurrenz rechnen, es wird dezentrale Energiemärkte und Finanzdienstleister auf Blockchain-Basis geben. Der öffentliche Sektor wird Blockchains einsetzen um transparenter und schneller zu werden, im Gesundheitsbereich kann durch Blockchains die Datenqualität erhöht werden und Unternehmen werden Blockchains verwenden, um ihre physischen und finanziellen Supply Chains zu optimieren.

LEADERSNET: Sie haben im Rahmen einer Veranstaltung einmal gesagt, dass man nicht "Blockchain for Dummies" lesen sollte, da man nachher noch dümmer als die Dummies sei. Was ist der beste Weg für Einsteiger und Laien, um sich über die Thematik zu informieren?

Taudes: Andreas Antonopoulos hat auf seinem YouTube-Channel eine sehr gute Reihe von Videos zum Thema "Bitcoin for Beginners". Er hat auch sehr gute kurze Q&A Videos zu verschiedenen fortgeschrittenen Bereichen, wie Ethereum oder ICO. Im deutschsprachigen Raum kann ich das Buch von Anita Posch, "Ratgeber Bitcoin & Co. Kryptowährungen sicher kaufen, verwalten und verwahren" empfehlen, das Buch von Julian Hosp über Kryptowährungen gibt auf viele Fragen prägnant Antwort. Wer sich für technische Details interessiert ist bei "Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets" von Aleksander Berentsen und Fabian Schar gut aufgehoben.

LEADERSNET: Sie gehören am 29. August zu den Vortragenden der Breakout Session "Blockchain und neue Kryptoökonomie: Wirtschaft und Gesellschaft vor der nächsten Revolution?" im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach. Wie könnte diese Revolution aussehen?

Taudes: Die erste Welle der Revolution hat schon stattgefunden – der Aufstieg der Kryptowährungen. Nun kommt die zweite Welle, das Vordringen der Blockchain in die anderen Anwendungsbereiche. Das wird langsamer gehen, da es sich oft um sensible Bereiche handelt, rechtliche Rahmenbedingungen adaptiert werden müssen und Unternehmen bei Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs innovieren müssen. Am Ende wird jedenfalls so wie beim derzeitigen Internet eine transformierte Ökonomie stehen, und wir werden dann Dinge für ganz natürlich ansehen, die es derzeit nicht gibt. Wer konnte vor 15 Jahren etwas mit dem Begriff "googeln" anfangen?

LEADERSNET: Das diesjährige Generalthema des Europäischen Forum Alpbach (EFA) lautet "Diversity & Resilience". Welche Rolle spielen diese Begriffe in der Kryptoökonomie?

Taudes: Bitcoin ist ein diverses und resilientes System. Der Zugang ist frei, jeder kann im Netzwerk mit anderen in Austauschbeziehungen treten und auch Systemverwaltungsfunktionen (Mining) übernehmen. Das System funktioniert auch wenn einzelne Knoten ausfallen oder Teile des Netzwerls nicht verfügbar sind, und obwohl die Software und die Datenhaltung offen sind konnte es bisher nicht gehackt werden. Es gibt keine Zentrale, lediglich das Protokoll, das richtige Anreize setzt, übernimmt die Steuerung. Änderungen des Protokolls erfolgen durch Abstimmungsprozesse, bei denen unterlegene Gruppen problemlos durch Fork eigene Netzwerke aufbauen können. Gelingt es, diese Synergie von Kryptoökonomie und Diversität und Resilienz zu verallgemeinern stehen wir am Beginn gänzlich neuer Möglichkeiten der Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft.

www.wu.ac.at

www.alpbach.org

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