Zuletzt sorgten vor allem einige deutsche Autobauer für Hiobsbotschaften - bei Volkswagen droht erstmals die Schließung deutscher Werke und bei Audi, BMW und Mercedes gab es drastische Gewinneinbrüche. Aber auch französische und italienische Marken leiden derzeit unter den schwierigen Marktbedingungen. Ursache für diese Entwicklungen ist, dass die weltweite Autoindustrie aktuell wohl im bisher größten Umbruch steckt. Expert:innen zufolge wird dieser die Branche in den nächsten anderthalb Jahrzehnten massiv verändern. Das zeigt der neue "Automotive Outlook 2040" von Roland Berger. Zentraler Faktor sei laut der großangelegten Studie dabei eine regionale Verschiebung der Märkte: Während die Neuwagenverkäufe im globalen Süden und China stark wachsen und 2040 zusammen rund 60 Prozent des Weltmarkts ausmachen werden, haben die westlichen Märkte den Höhepunkt der Autokonjunktur überschritten, heißt es in der Analyse des Beratungsunternehmens. Dennoch bleiben sie neben China der wichtigste Absatzmarkt für die Branche. Insgesamt soll die Zahl der weltweiten Neuwagenverkäufe bis 2040 um rund 1,1 Prozent pro Jahr wachsen.
Gleichzeitig gehe Roland Berger zufolge die Elektrifizierung weiter: Weltweit werden 2040 rund 70 Prozent der Neuwagen rein elektrisch angetrieben. Zudem werden Automatisierung sowie eine immer stärkere Vernetzung der Fahrzeuge die Branche prägen, Software wird wichtiger als Hardware, so die Sudienautor:innen. Damit veränderten sich auch die Wertschöpfungsketten und Ertragsquellen der etablierten Hersteller (OEMs) und Zulieferer. Wer strategische Prioritäten richtig setzt, habe dennoch weiterhin gute Wachstumschancen.
Wandel unumkehrbar
"Der weltweite Wandel in der Automobilindustrie ist unumkehrbar und wird sich in den kommenden Jahren weiter rasant beschleunigen", betont Automotive-Expertin Gundula Pally, Managing Partner Roland Berger Österreich und weiter: "Dieses hohe Tempo wird für zahlreiche Unternehmen eine Herausforderung darstellen. Dennoch ist Pessimismus nicht angebracht. Denn der Umbruch eröffnet neue Chancen, die jene Marktteilnehmer nutzen können, die sich vorausschauend auf die kommenden Veränderungen einstellen und strategisch klug positionieren."
Um die Treiber dieser Entwicklung herauszuarbeiten und Szenarien für die Zukunft zu entwerfen, hat Roland Berger eine eingehende Analyse der Branche und ihrer Märkte durchgeführt und im "Automotive Outlook 2040" zu einem Gesamtbild zusammengeführt. Dabei treten vier zentrale Trends hervor, die den Wandel demnach bis 2040 prägen sollen: Polarisierung, Automatisierung, Vernetzung und Elektrifizierung.
"Peak Auto" im Westen
Die Polarisierung zeigt sich der Analyse zufolge besonders an den Neuwagenverkäufen: In den westlichen Märkten Europa, USA und Kanada habe deren Zahl den Höhepunkt ("Peak Auto") erreicht und teilweise bereits überschritten. Dementsprechend werden diese Märkte voraussichtlich stagnieren bzw. leicht schrumpfen. Sie bieten aber angesichts ihrer Größe immer noch ein erhebliches absolutes Wachstum, das die Roland Berger-Expert:innen auf 520 Milliarden Euro im Zeitraum bis 2040 schätzen. Eine starke Zunahme der Neuzulassungen werde es in China (+1,2 Prozent pro Jahr), Indien (+4,2 Prozent pro Jahr), Süd- und Mittelamerika (+2,4 Prozent pro Jahr) sowie anderen Ländern des globalen Südens geben. In absoluten Zahlen sollen die Einnahmen in China im Zeitraum bis 2040 mit rund 590 Milliarden Euro am stärksten wachsen. Die Märkte im globalen Süden dürften ihren Umsatz demnach um rund 480 Milliarden Euro steigern, doch trotz hoher Wachstumsraten werde ihr Anteil am Gesamtmarkt nur von heute 14 Prozent auf 20 Prozent im Jahr 2040 steigen. Insgesamt gehen die Studienautor:innen davon aus, dass das weltweite Verkaufsvolumen zwischen 2025 und 2040 um durchschnittlich 1,1 Prozent pro Jahr (nach 2,4 Prozent in 2010 bis 2019) wächst.
Ein Faktor, der entgegen früheren Prognosen nur geringen Einfluss auf die weltweiten Fahrzeugverkäufe hat, seien geteilte Mobilitätslösungen ("Shared Mobility"). Nach Ansicht der Beratungsagentur werde deren Nutzung zwar weiter zunehmen, aber nicht in dem bisher erwarteten Tempo und zudem nur in großen Städten und Ballungsräumen. Da in diesen nur rund zehn Prozent der Fahrstrecken zurückgelegt werden und geteilte Mobilität die private Autonutzung häufig nicht ersetzt, sondern ergänzt, bleibe sie somit ein untergeordneter Faktor für die Entwicklung der Automobilindustrie.
Dagegen sei der Trend zu Elektrofahrzeugen unumkehrbar, trotz derzeitiger Kaufzurückhaltung in einzelnen Märkten. Weltweit wächst die Zahl der rein elektrischen Pkw (BEV) schnell, und für 2040 gehen die Roland Berger-Expert:innen je nach Szenario von einem Anteil an den Neuwagen zwischen 64 und 71 Prozent aus. Dazu kommen 20 Prozent Hybride, während Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe wegen Effizienznachteilen und hohen Kosten kaum eine Rolle spielen werden. Die Elektrifizierung geht dabei je nach Region unterschiedlich schnell: Europa dürfte bereits in gut zehn Jahren mit 99 Prozent Elektro-Anteil an den Neuzulassungen voll elektrifiziert sein, wenn die EU an den bisherigen Regularien festhält. China hat im Juli 2024 die 50-Prozent-Marke überschritten und wird bis 2040 zwischen 70 und 85 Prozent Anteil erreichen, während die USA bei 42 bis 60 Prozent sowie der Rest der Welt bei rund 50 Prozent liegen werden.
© Roland Berger
Gesamte Wertschöpfungskette verändert sich
"Die Elektrifizierung verändert das Kräfteverhältnis in der Automobilbranche grundlegend. Nicht nur, weil die Abhängigkeit von China in Bezug auf Rohstoffe zunimmt", sagt Pally und fügt hinzu: "Wir sehen tiefgreifende strukturelle Verschiebungen innerhalb der Komponentenbereiche, entlang der Lieferketten und in den Zielmärkten. Der Rückgang bei Komponenten für Verbrennungsmotoren wird durch das Wachstum bei Elektroantrieben und Batterien sowie durch den steigenden Bedarf an Elektronik sowie Komponenten für Assistenzsysteme und Automatisierung ausgeglichen werden." Insgesamt werde der weltweite Umsatz für Zulieferer bis 2040 um 3,4 Prozent pro Jahr wachsen.
Im Zuge der zunehmenden Konnektivität dürften zudem bis 2040 fast alle Neuwagen auf dem Konzept des "Software-defined Vehicle" basieren, bei dem das Fahrzeug um die Softwareplattform herum gebaut wird und nicht umgekehrt. "All diese Entwicklungen verändern den Bedarf an Komponenten, schaffen neue Geschäftsmodelle und verstärken somit die Verschiebungen in der Branche", führt die Expertin von Roland Berger Österreich aus. "Wir erwarten, dass die Zahl der europäischen Zulieferer unter den weltweiten Top 20 bis 2040 von derzeit sieben auf fünf sinken wird. Die Zahl der chinesischen Anbieter in diesem Ranking könnte von zwei auf sechs steigen. Auch der weltgrößte Zulieferer wird im Jahr 2040 nicht mehr in Europa, sondern in China beheimatet sein."
China wächst, aber westliche Hersteller können dagegenhalten
Der Automotive Outlook 2040 beschreibt die tektonischen Verschiebungen, vor allem in Richtung chinesischer Akteur:innen, die die etablierten Unternehmen, vor allem im Westen, unter Druck setzen. Wie die Lage 2040 aussehen wird, ist derzeit nicht klar. Die Studienautor:innen entwerfen dafür zwei mögliche Szenarien: Im ersten setzt sich der Vormarsch chinesischer OEMs fort, sie übernehmen mehr als die Hälfte des bis 2040 erwarteten Wachstums und erreichen in China einen Marktanteil von 70 bis 75 Prozent, in Europa 15 bis 20 Prozent und in Nordamerika fünf bis zehn Prozent. Gleichzeitig leiden ihre westlichen Wettbewerber unter stagnierenden oder schrumpfenden Verkaufszahlen, zunehmendem Kostendruck und Restrukturierungsbedarf.
Gundula Pally dazu: "In diesem aus westlicher Perspektive als pessimistisch betrachteten Szenario wäre 2040 der Wendepunkt erreicht, an dem chinesische Hersteller das Rennen endgültig für sich entschieden hätten." Sie sieht jedoch auch Chancen für ein zweites, optimistischeres Szenario: Hier würden 36 Prozent des Wachstumspotenzials bis 2040 auf westliche Hersteller entfallen, während chinesische OEMs zwar im Heimatmarkt rund 65 Prozent Marktanteil erreichen, in Europa jedoch nur fünf bis zehn Prozent und in Nordamerika weniger als fünf Prozent. "Westliche OEMs investieren weiterhin stark in Technologie und verfügen über ein etabliertes Markenimage sowie über robuste Netzwerke in Produktion und Vertrieb", so die Expertin und fügt abschließend hinzu: "Gleichwohl müssen westliche OEMs ihre Effizienz signifikant steigern. Falls sie ihre Ansätze radikal überdenken – etwa durch eine verstärkte Nutzung standardisierter Hardware und Softwareplattformen von Drittanbietern – könnten westliche Hersteller ihre Kostenwettbewerbsfähigkeit wiedererlangen. So könnte sich bis 2040 ein neues globales Gleichgewicht entwickeln, in dem alle Marktakteure gleichermaßen gute Wachstumschancen haben."
www.rolandberger.com
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