"Ohne die öffentliche Finanzierung von Kunst und Kultur wäre unsere Gesellschaft um so vieles ärmer"

Im LEADERSNET-Interview spricht Andrea Mayer, Staatssekretärin im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, u.a. darüber, wie sich Österreich in Zukunft am Markt positionieren muss und warum kulturelle Bildung ein Schlüsselelement für die Entwicklung kreativer Fähigkeiten und kritischen Denkens ist. Zudem gewährt sie einen Ausblick auf ihre langfristigen Ziele und Visionen für die Kulturpolitik.

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie sind für Österreichs Aushängeschild "Kultur" zuständig – ist das ein cooler Job?

Andrea Mayer: Es war ein sehr aufregender Tag in meinem Leben, als ich am 20. Mai das Amt der Staatssekretärin für Kunst und Kultur angetreten habe. Der Kunst und den Künstler:innen habe ich ja schon davor den Großteil meines Berufslebens gewidmet. Nun in der ersten Reihe zu stehen, Entscheidungen treffen zu können, die wegweisend für die österreichische Kunst der nächsten Jahre sind, ist spannend, oft stressig, extrem viel Arbeit, aber auch sehr erfüllend.

LEADERSNET: Österreich ist eine international anerkannte Kulturnation und viele Gäste besuchen uns deswegen. Wie positioniert man sich am internationalen und nationalen Markt?

Mayer: Wir sind in Österreich in der glücklichen Lage, dass es grundsätzlich gar nicht so viel "Positionierung" braucht. Wir sind in der ganzen Welt für Kunst und Kultur, für unsere Musik, unsere Museen, die Literatur und unsere Künstler:innen bekannt. Kunst und Kultur sind Teil der ureigensten DNA unseres Landes. Mir persönlich ist es dabei wichtig, immer zu betonen, dass es nicht alleine um die Vergangenheit, um unser kulturelles Erbe und die großen weltbekannten Institutionen geht, sondern mindestens genauso um die hier und jetzt lebenden und produzierenden Künstler:innen.

Sie sollen die besten Voraussetzungen bekommen, um auch international die verdiente Aufmerksamkeit zu bekommen. Dafür habe ich in meiner Amtszeit viele entscheidende Schritte gesetzt: Für den Film haben wir ein Anreizmodell geschaffen, das den Filmstandort Österreich stärkt und internationalisiert, für die bildende Kunst haben wir die Aktivitäten des Vereins "Phileas – The Austrian Office for Contemporary Art" erweitert, um die zeitgenössische österreichische Kunstlandschaft international noch umfassender unterstützen zu können, die österreichische Gegenwartsliteratur wurde mit dem großen Gastlandauftritt Österreichs auf der Leipziger Buchmesse international gefeiert, mit dem Festival "Choreographic Platform Austria" öffnet sich der österreichische Tanz für die Welt und auch für die Musiker:innen haben wir ein Paket erarbeitet, das mit einer Förderung für Auslandstourneen und Zuschüssen für Vermarktung zu mehr Sichtbarkeit im Ausland führen wird.

LEADERSNET: Kulturelles Engagement ist teuer, warum lohnt sich dieses Investment in Bezug auf die nationale Kulturidentität?

Mayer: Menschsein heißt hinterfragen, sein Leben gestalten, sich ausdrücken, sich mitteilen zu können. Das alles sind Elemente der Kunst und Kultur. Der Umgang mit Künstler:innen in einer Gesellschaft sagt sehr viel über die Verhältnisse und den Zustand einer Gesellschaft aus. Die Kunst eröffnet uns Welten und Erlebnisse, die uns kein anderer Bereich unseres Lebens geben kann. Allein deshalb lohnt sich dieses Investment.

Ich würde aber noch einen Schritt weitergehen: Es lohnt sich nicht nur, es ist auch unbedingt notwendig. Es ist die Verantwortung der Politik, entsprechende Rahmenbedingungen wie auch Infrastruktur für Kunst und Kultur zu schaffen, damit sie sich entfalten können. Ohne die öffentliche Finanzierung von Kunst und Kultur wäre unsere Gesellschaft um so vieles ärmer – und da spreche ich nicht von den wirtschaftlichen Umweg-Effekten und Tourismus; Kunst und Kultur sind ein Wert an sich.

LEADERSNET: Die Highlights der österreichischen Kultur, die sich auch über Umwegrentabilität finanzieren, entsprechen oft dem Mainstream. Wie viel Platz bleibt hier für die Entwicklung von Neuem?

Mayer: Wir haben in Österreich ein herausragendes staatliches Kunst- und Kulturfördersystem. Ziel der Investition durch die öffentliche Hand ist, Kunst und Kultur zu bewahren und selbstverständlich auch ihre innovativen Kräfte zu entfalten. Wir konnten in den letzten Jahren das Kunst- und Kulturbudget des Bundes deutlich steigern – und wenn Sie da ins Detail gehen, werden Sie sehen, dass die Fördergelder für die so genannte Freie Szene sogar überproportional gestiegen sind.

Wir brauchen beides – die großen, etablierten Institutionen, aber auch die bunte, vielfältige Freie Szene, aus der neue Akzente und Denkanstöße kommen.

Im Übrigen möchte ich dem Begriff "Mainstream" entschieden widersprechen. Denn selbstverständlich sind auch die großen Aushängeschilder der österreichischen Kulturszene in steter Entwicklung, Neufindung und Innovation.

LEADERSNET: Kulturelle Bildung ist ein Schlüsselelement für die Entwicklung kreativer Fähigkeiten und kritischen Denken. Wie stehen Sie dazu?

Mayer: Kulturelle Bildung braucht kulturelle Beteiligung – und umgekehrt. Wir haben heuer eine Studie veröffentlicht, die genau das zeigt. Und sie zeigt auch, dass sich die Affinität für Kunst und Kultur in Österreich genauso zu vererben scheint wie das Bildungsniveau – leider. An diesem Punkt – bei den Kindern und Jugendlichen und damit dem Publikum der Zukunft – müssen wir also verstärkt ansetzen. Aus diesem Grund stehe ich mit dem Bildungsminister im Gespräch und in einem konstruktiven Austausch, um hoffentlich noch heuer entsprechende Akzente zu setzen.

LEADERSNET: In wirtschaftlich angespannten Zeiten wird der Ruf nach Sozialleistungen immer lauter. Kann dies zu Lasten eines Kulturbudgets gehen?

Mayer: Es ist unübersehbar, wie wichtig Kunst und Kultur für unser Land sind und es gibt dazu ein klares Bekenntnis der Bundesregierung, das sich auch Jahr für Jahr im Budget niederschlägt. Wenn uns die Pandemie etwas gelehrt hat, dann, was ein Stillstand der Kunst und Kultur für unser Land bedeutet, wie sehr ihr Fehlen das Klima in einem Land prägt und wie sehr andere Branchen und Wertschöpfungsketten von einer lebendigen Kulturszene abhängig sind.

LEADERSNET: Was ist aus Ihrer Sicht Österreichs Kultur-Identität und wie definieren Sie den größten gemeinsamen kulturellen Nenner für die Nation?

Mayer: Identität ist ständig im Wandel, Kultur kann nicht inhaltlich festgeschrieben und einzementiert werden. Es ist das Wesen von Kunst und Kultur, sich zu verändern, weiterzuentwickeln, politische und gesellschaftliche Strömungen aufzunehmen, diese zu verarbeiten oder widerzuspiegeln.

LEADERSNET: Ist die "Kunst des Augenblicks" im Angesicht der Digitalisierung noch zeitgemäß? Sollten nicht Theatervorstellungen kostenpflichtig gestreamt werden?

Mayer: Es gibt unzählige künstlerische Darstellungsformen – Kunst entsteht hinter der Kamera, auf der Bühne, auf Papier, auf Datenträgern oder im Netz. Ich setzte mich sehr dafür ein, den Zugang zu Kunst und Kultur möglichst vielen Menschen zu ermöglichen. Dabei können Neue Medien und Technologien Unterstützung leisten. Das passiert ja auch schon vielfach. Aber eines möchte ich ganz klar festhalten: Das gemeinschaftliche Erleben und das Live-Erlebnis hat eine Qualität für sich, die durch nichts ersetzt werden kann.

LEADERSNET: Ist Kultur in einer Zeit – in der kein Stein auf dem anderen bleibt – nach wie vor – die Visitenkarte eines Landes?

Mayer: Kunst und Kultur werden immer ein Teil von Österreich sein – und zwar ein wesentlicher. Und das ist auch gut so.

LEADERSNET: Was sind Ihre langfristigen Ziele, Visionen und Appelle für die Kulturpolitik in Österreich?

Mayer: Ich bin überzeugt, dass wir in dieser Legislaturperiode viele Projekte initiiert und realisiert haben, die auch in Zukunft unbedingt weiterverfolgt werden müssen. Stellvertretend möchte ich das Thema Fairness und Fair Pay nennen. Gerade weil Kunst und Kultur so wichtig für unser Land sind, müssen wir in der Kulturpolitik umso mehr darauf achten, dass das auch ein Bereich ist, in dem faire Arbeitsbedingungen herrschen, wo Machtmissbrauch keinen Platz hat und wo faire Bezahlung die Regel ist und nicht die Ausnahme.

Das übergeordnete Ziel könnte man zum Beispiel so formulieren: Rahmenbedingungen schaffen, die es Österreichs Künstler:innen und Kultureinrichtungen ermöglichen, auch weiterhin das vielfältige, überraschende, inspirierende und wertvolle Programm zu gestalten, für das Österreich zurecht in der Welt bekannt ist.

www.bmkoes.gv.at

Andrea Mayer

Andrea Mayer stand über zehn Jahre an der Spitze der nunmehrigen Sektion Kunst und Kultur und war Leiterin der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei, bevor sie im Mai 2020 ihr Amt als Kunst- und Kulturstaatssekretärin antrat.

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