LEADERSNET: Frau Höllinger, Sie haben mit Beginn des vergangenen Jahres das Ruder bei Austrian Standards übernommen. Welche Bilanz ziehen Sie nach über einem Jahr?
Höllinger: Es war ein sehr intensives und in Summe ein sehr erfolgreiches Jahr für mich, das ich nicht missen möchte. Ich habe eine sehr solide Organisation übernommen, die es nun gilt, zukunftsfit zu machen. Ich habe von Natur aus viel Veränderungsenergie in mir und das zeigt sich auch in meinem Handeln und meinen Entscheidungen.
Aktuell überarbeiten wir erfolgreich die strategische Ausrichtung unserer Organisation. Austrian Standards sehe ich in Zukunft zum einen als das sinnstiftende Dienstleistungsunternehmen, dass die Bedürfnisse der Kund:innen vermehrt in den Fokus rückt. Zum anderen werden wir unsere Rolle als Vernetzungsplattform stärker ausbauen. Sowohl unser Kerngeschäft als auch unser "House of Standards and Innovation" als Meetingcenter tragen dazu bei, Akteur:innen unterschiedlichster Bereiche, Ebenen, Branchen und Organisationen miteinander zu vernetzen. Auch die Geschlechtergerechtigkeit in der Standardisierung steht bei mir ganz oben auf der Agenda.
Wir arbeiten intensiv daran, die zahlreichen Stärken von Austrian Standards durch den Transformationsprozess, die Digitalisierung und Kund:innenzentrierung zum Glänzen bringen. Und ich bin sehr dankbar, dass mich die Kolleg:innen so engagiert dabei unterstützen.
LEADERSNET: Frau Unger, Sie sind seit über einem halben Jahr Chief Operating Officer (COO) bei Austrian Standards. Wie waren die ersten Monate?
Unger: Sehr lehrreich und spannend, trifft es wohl am besten. Mein Fokus lag in den ersten Monaten ganz klar im Verstehen der Unternehmensprozesse und -strukturen. Das Einfühlen in die Organisation und das Kennenlernen des Teams sind für mich der Schlüssel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Das braucht Zeit. Aber dieses Investment lohnt sich, denn nur dann können Veränderungen im Unternehmen erfolgreich etabliert werden.
Wenn man die Unternehmenskultur versteht, dann weiß man, wie man Dinge angehen muss und kann realistische Meilensteine setzen. Die Digitalisierung macht auch vor Austrian Standards nicht Halt. Wir werden diese für uns nutzen, um Prozesse und Abläufe zu beschleunigen und auf veränderte Kund:innenwünsche besser einzugehen.
Ich sehe meine Aufgabe vor allem darin, die größtmöglichen Benefits der Digitalisierung für uns herauszuholen und Austrian Standards gemeinsam mit dem Managementteam strategisch neu auszurichten.
LEADERSNET: Frau Höllinger, Sie haben das Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Standardisierung erwähnt. Was ist damit gemeint?
Höllinger: Austrian Standards ist nicht nur das heimische Zentrum für Standardisierung und Innovation, sondern auch die österreichische Stimme in der internationalen Standardisierung – dem wichtigsten "Ort" für Standards von morgen.
Zukunftsthemen für Standards gibt es viele – aber noch wichtiger ist die Zukunftsvision, dass Diversity und "Design for all" gelebte Praxis werden. Die Bedürfnisse in unserer Gesellschaft sind vielfältig, und nur wenn alle Stimmen gehört werden, können sie in Standards abgebildet werden. Um die Herausforderungen der nächsten Jahre wie Digitalisierung oder Klimakrise zu meistern, ist es undenkbar, auf die Chance der unterschiedlichen Blickwinkel zu verzichten.
Es gibt einige Komitees, die einen geringeren Anteil an Frauen aufweisen. Das heißt, dass im Vergleich mehr Männer in der Standardisierung aktiv sind als Frauen – und das auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Daher ist es mir ein besonderes Anliegen, Expertinnen einzuladen, an der Standardisierung teilzunehmen und ihre Standpunkte und Ideen einzubringen. Die Vielfalt an Perspektiven, Anliegen und Positionen von Frauen sind ein wertvoller Beitrag und eine notwendige Ergänzung zu bisher verwendeten "Normdaten".
Es gilt dieses Ungleichgewicht aufzulösen und in Balance zu bringen. Schließlich ist es die Aufgabe der Standardisierung Standards zu schaffen, die für alle gleichermaßen gültig sein sollen. Wenn sich mehr Frauen aktiv in der Standardisierung einbringen, sorgt das für Perspektivenvielfalt. So können auch die Anliegen und Positionen von Frauen inhaltlich stärker in Standards abgebildet werden.
LEADERSNET: Wie äußert sich das in der Praxis?
Höllinger: Wie weitreichend und einflussreich die aktive Teilnahme an der Standardisierung ist, ist vielen nicht bewusst. Standards gestalten die Wirtschaft von morgen. So können Frauen durch die Mitarbeit in der Standardisierung aktiv die Zukunft mitgestalten. Auch konkrete Frauenthemen erhalten innerhalb der Standardisierung immer öfter jene Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Dazu zählt z.B. das Standards-Zukunftsfeld der Menstruationsprodukte: 2021 wurde ein Antrag bei der Internationalen Standardisierungs-Organisation ISO für die Gründung eines Komitees zum Thema "Menstruationsprodukte" gelegt. In Österreich beschäftigt sich das Komitee 179 Medizintechnik u.a. mit dieser Thematik, um hier die Interessen der Frauen abzubilden.
Unger: Ein sehr bekanntes Beispiel sind Crashtest Dummies. Für Crashtest Dummies wurde lange Zeit ein durchschnittlich großer und schwerer Mann als Prototyp herangezogen. Doch Frauen haben andere anatomische Voraussetzungen als Männer. Das gilt es bei der Entwicklung und Standardisierung von Crashtest Dummies zu berücksichtigen.
LEADERSNET: Sie beide leben Female Leadership vor. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Höllinger: Genauso wie das Credo der Zusammenarbeit in der Standardisierung ist, dass es viele kluge Köpfe braucht, um erfolgreich zu sein, ist auch mein Anspruch an Führung. Ich setze sehr viel auf Teamwork und daher ist für mich gegenseitiges Vertrauen die Grundlage der Zusammenarbeit. Denn gewinnen können wir nur als Team. Dabei sollen meine Mitarbeiter:innen eigenverantwortlich handeln. Das unterstütze und fördere ich auch aktiv.
Unger: Ich bin davon überzeugt, dass gute Führung nichts mit dem Geschlecht zu tun hat, sondern mit Wissen und Können. Dabei ist es wichtig, das Big Picture nicht aus den Augen und sich nicht in Details zu verlieren. Das bedeutet, als Führungskraft klare Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Nur wenn ich mich selbst an die Leitlinien halte, die ich vorgebe, kann ich erwarten, dass andere folgen.
LEADERSNET: Frau Unger, Sie kommen aus einer männerdominierten Branche, der IT. Welche Herausforderungen sehen Sie für Frauen, die eine Führungsposition anstreben und welche Tipps können Sie Frauen geben, die sich erfolgreich etablieren wollen?
Unger: Stereotypische Rollenbilder von Männern und Frauen sind in der Gesellschaft tief verwurzelt. Das ist mitunter auch ein Grund, warum Frauen nach wie vor in Managementpositionen unterrepräsentiert sind. Ich finde es wichtig, dass man sich selbst von diesen Stereotypen befreit. Frauen sollen viel mehr an sich und ihre Leistungen glauben. Mir fällt es auf, dass Frauen generell dazu tendieren, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen und in Bescheidenheit auf ihre Leistungen blicken.
Ein Tipp von mir ist: Vertrauen Sie auf Ihre Intuition und Ihr Können. Und seien Sie stolz auf das, was Sie erreicht haben. Fokussieren Sie sich auf Ihre Stärken und nicht auf Ihre Schwächen. Frauen neigen dazu, bei einer 98prozentigen-erfolgreichen Umsetzung, sich auf die zwei Prozent zu konzentrieren, die nicht perfekt umgesetzt wurden.
Vor allem jungen Frauen mangelt es oft am Glauben an sich selbst. Sie verkaufen sich unter ihrem Wert. Gerade Mentoring-Programme sehe ich als wichtigen Schlüssel, um sich Unterstützung und Tipps für den eigenen Erfolg zu holen. Daher bin ich auch als IT-Mentorin tätig. Das ist mir eine Herzensangelegenheit, mein Wissen und meine Erfahrung im Sparring zu teilen.
Als Austrian Standards nehmen wir seit 2012 beim Wiener Töchtertag teil. Jährlich laden wir Mädchen und junge Frauen ein, sich ein Bild von uns und der Standardisierung zu machen. Dabei plaudern unsere Mitarbeiter:innen aus verschiedenen Abteilungen aus dem Nähkästchen. Das ist auch ein Fixtermin für Valerie und mich: wir lernen die jungen Besucher:innen in einer Gesprächsrunde besser kennen und stehen zum einen für alle Fragen und zum anderen auch für Tipps zur Verfügung.
LEADERSNET: Mit Corona hat sich das Arbeitsverständnis komplett verändert: Sinnhaftigkeit, Werte und Gestaltungsmöglichkeiten haben an Bedeutung gewonnen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist für die Arbeitnehmer:innen neben guter Entlohnung wesentlich. Wie sieht das bei Austrian Standards in der Praxis aus?
Höllinger: Hier haben wir als Austrian Standards eindeutig einen großen Vorteil. Unsere Arbeit ist für die Gesellschaft sowie für die Wirtschaft und Forschung von großer Relevanz. Gemeinsam außergewöhnliche Ergebnisse für unsere Gesellschaft zu erreichen, liegt in unserer DNA.
Schon vor Corona haben wir im Haus eine Homeoffice-Vereinbarung eingeführt, da wir frühzeitig erkannt haben, dass sich die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen verändert haben. Auch flexible Arbeitszeiten tragen maßgeblich zum Wohlbefinden unserer Mitarbeiter:innen bei. So müssen sie sich nicht in Büro hetzen, können mittags ins Fitnesscenter gehen oder auch eine Spazierrunde in der Praterallee machen.
Wir sind der Meinung, individuelle Menschen und Situationen benötigen individuelle Lösungen. Daher unterstützen wir als Arbeitgeber:in, sodass sich alle Mitarbeiter:innen entsprechend ihrer Interessen im Beruf weiterentwickeln, Arbeit und Familie in Einklang gebracht werden können und jeder persönlich vorankommen kann.
www.austrian-standards.at
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