Teuerungswelle, Inflation, Lieferengpässe, Fachkräftemangel, Krieg in der Ukraine: Die Liste jener Herausforderungen, mit der sich Österreichs Wirtschaft auseinandersetzen muss, ist aktuell besonders lang. Dennoch sei der gravierende Anstieg (+ 118 Prozent) an Unternehmensinsolvenzen gegenüber dem ersten Halbjahr des Vorjahres Expert:innen zufolge nicht unmittelbar auf diese Faktoren zurückzuführen. Laut aktueller KSV1870 Hochrechnung waren von Jänner bis Juni 2022 in Österreich 2.308 Unternehmen von einer Insolvenz betroffen.
Hauptursache
"In der Entwicklung der vergangenen sechs Monate sehen wir vor allem die konsequente Fortsetzung einer Trendumkehr, die bereits im Herbst 2021 begonnen hat, und in erster Linie auf die Beendigung der meisten staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zurückzuführen ist", erklärt Karl-Heinz Götze, Leiter KSV1870 Insolvenz, und ergänzt: "Aus Sicht des KSV1870 war es richtig, das flächendeckende Hilfsprogramm nach dem Gießkannenprinzip zu beenden, und stattdessen wieder auf volkswirtschaftlich saubere Prozesse zu setzen. So wird verhindert, dass Unternehmen gefördert werden, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Gesamtsituation eigentlich keinen Anspruch darauf haben – ganz unabhängig des Corona-Faktors."
Dass es dafür höchste Zeit gewesen sei, zeige auch, dass im Vergleich zum Vorjahr die Quote an abgewiesenen Fällen von circa 30 Prozent auf rund 40 Prozent gestiegen ist – so wurden heuer bereits 938 Insolvenzen mangels Kostendeckung abgewiesen. Ohne dieser ausufernden Unterstützung hätten einige dieser Unternehmen bereits früher Insolvenz anmelden und mitunter noch saniert werden können. Jetzt müssen sie zur Gänze zusperren, wodurch auch Arbeitsplätze verloren gehen, so der Kreditschutzverband.
Parallel dazu müssen sich die Betriebe im Moment verstärkt mit steigenden Kosten auseinandersetzen: Wie sehr sich die massiven Teuerungen etwa am Rohstoffsektor oder die Inflation auf das Insolvenzwesen auswirken werden, könne jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt faktenbasiert eingeschätzt werden – dass es zu Auswirkungen kommen werde, sei jedoch höchstwahrscheinlich. Das Ausmaß hänge auch ein Stück weit von der heimischen Wirtschaftsleistung ab, die im zweiten Quartal 2022 besser als erwartet ausfallen dürfte.
Anstiege in allen Bundesländern
Die aktuelle KSV1870 Hochrechnung liefert für das erste Halbjahr 2022 in puncto Firmenpleiten den Angaben zufolge ein selten einheitliches Bild für ganz Österreich. Alle neun Bundesländer würden ein deutliches Pleiten-Plus verzeichnen, wobei in sieben Bundesländern der Anstieg jenseits der 100-Prozent-Marke liege. Demnach verbuche Vorarlberg mit plus 194 Prozent den größten Anstieg – jedoch sei im Westen die absolute Zahl an Unternehmensinsolvenzen sowohl im Vorjahr als auch heuer am niedrigsten. Dahinter folgen Oberösterreich (+ 171 Prozent) und Niederösterreich (+ 168 verzeichnen) – die "geringsten" Anstiege verzeichnen der Hochrechnung zufolge die Steiermark (+ 79 Prozent) und Wien (+ 87 Prozent).
Passiva insgesamt deutlich gestiegen
Parallel zur Entwicklung der Firmenpleiten würden auch die vorläufigen Passiva deutlich höher ausfallen als im Vorjahr, wenngleich nicht in dem Ausmaß wie die Zahl der Insolvenzen selbst. Damit setze sich ein Trend fort: Firmenpleiten werden kleinteiliger. Österreichweit wurden bislang 629 Millionen Euro an geschätzten Verbindlichkeiten einer Regulierung zugeführt, um 61 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Dabei verzeichnet laut dem Kreditschutzverband lediglich das Bundesland Salzburg einen Rückgang, obwohl es auch hier deutlich mehr Firmenpleiten als zuletzt gab. Im Gegensatz dazu seien die vorläufigen Passiva in Vorarlberg (+ 260 Prozent) regelrecht explodiert, gefolgt vom Burgenland (+ 163 Prozent), Wien (+ 110 Prozent) und Kärnten (+ 109 Prozent).
Handel, Bau, Tourismus/Gastronomie als Insolvenztreiber
Ein Blick auf die Insolvenzen nach Branchen zeigt, dass im ersten Halbjahr 2022 der Handel (428 Fälle), die Bauwirtschaft (382 Fälle) und die Branche Tourismus/Gastronomie (266) die meisten Firmenpleiten zu verzeichnen haben – diese drei Branchen würden fast die Hälfte aller bisherigen Unternehmensinsolvenzen des Jahres ausmachen. Eine Situation, die unter anderem ganz besonders für den Handel unerfreulich sei, so spielten gerade in diesem Wirtschaftszweig die Inflation und steigende Preise eine wesentliche Rolle: "Während die Menschen in puncto Stromkosten eher wenig Handlungsspielraum haben, könnte im Ernstfall auf Kleidung oder die neue Wohnungseinrichtung zumindest vorübergehend verzichtet werden. Das erschwert die Situation für viele Teile des Handels maßgeblich", erklärt Götze.
Mehr Dienstnehmer und Gläubiger betroffen
Mit der erhöhten Anzahl an Unternehmensinsolvenzen habe sich auch die Zahl der betroffenen Dienstnehmer erhöht. Während im Vorjahr 3.600 Menschen von einer Insolvenz ihres Arbeitgebers unmittelbar betroffen waren, seien es in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 7.000 Personen – ein Plus von rund 94 Prozent. Gleichzeitig habe sich laut der Hochrechnung auch die Zahl der Gläubiger auf 13.800 Betroffene (+ 62 Prozent) erhöht, die mit den Auswirkungen eines insolventen Geschäftspartners konfrontiert sind. "Im Mittelpunkt unserer Bestrebungen stehen immer zwei Aspekte: Einerseits, die bestmögliche Quote für Gläubiger zu erzielen, damit deren Liquidität im Ernstfall nicht noch mehr belastet wird. Und andererseits versuchen wir, den Fortbestand der Unternehmen, wenn wirtschaftlich sinnvoll, zu sichern, um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten", so der Leiter KSV1870 Insolvenz
Ausblick
Die vielfältigen Krisensituationen werden immer mehr zur "echten Herkulesaufgabe" für die heimische Wirtschaft: "Obwohl die Sorgen der Unternehmen aktuell eher größer als kleiner werden, zeigen sich die Betriebe durchaus optimistisch, den Berg an Herausforderungen zu bewältigen. Trotzdem ist davon auszugehen, dass die jüngsten Insolvenzentwicklungen in Richtung Jahresende ihre Fortsetzung finden werden", erklärt Götze. Demnach sei aus heutiger Sicht zu erwarten, dass die Zahl von 5.000 Unternehmensinsolvenzen am Jahresende erreicht werde – erstmals seit Ausbruch der Corona-Krise, womit "Vorkrisenniveau" erreicht wäre. (ts)
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