"Ich möchte den digitalen Wandel aktiv mit unseren Mitarbeiter:innen und den Gremien im ORF gestalten"

Lisa Totzauer im Interview über die Kandidatur als Generaldirektorin des ORF, wo sie den dringendsten Handlungsbedarf sieht, die Schließung der sogenannten "Streaming-Lücke" und warum ein Schulterschluss der Branche nötig ist.

LEADERSNET: Für viele sind Sie schon lange die anzunehmende Thronfolgerin von Alexander Wrabetz. Vor wenigen Tagen haben Sie bekannt gegeben, als erste Gegenkandidatin gegen den amtierenden ORF-Chef anzutreten. Wann keimte dieser Gedanke erstmals in Ihnen auf?

Totzauer: Eine Bewerbung ist ein längerer Prozess der sich an den Herausforderungen, die ich in den letzten Jahren im ORF bewältigt habe, letztlich manifestiert hat. Ich als Programm-Macherin und gelernte Journalistin möchte den digitalen Wandel, in dem wir uns gerade befinden, aktiv und mit unseren Mitarbeiter:innen und den Gremien im ORF gestalten. Ich sehe das als meinen besten Beitrag für einen unabhängigen, selbstbewussten und zukunftsorientierten ORF und einen starken Medienstandort Österreich.

LEADERSNET: Was war dafür ausschlaggebend?

Totzauer: Ich habe in meiner Aufgabe als ORF 1 Channel Managerin gesehen, wie wichtig es ist, unsere Medienangebote vernetzt zu denken, um beim Publikum erfolgreich zu sein. Das konnte ich auch bei meinen Studien im Ausland und bei den Kontakten mit internationalen KollegInnen feststellen. Mit ist bewusst geworden, dass der ORF diesbezüglich noch ein ordentliches Stück des Weges vor sich hat, um zukunftsfit zu werden. Auf diesem Weg möchte ich vorangehen.

LEADERSNET: Wie wollen Sie das größte und wichtigste Medienunternehmen des Landes in die Zukunft führen?

Totzauer: Mein Führungsstil war immer schon auf Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter:innen und Teamgeist ausgebaut. Wir müssen mehr Räume für Entwicklung schaffen, Innovationen zulassen und mehr auf unsere eigenen Stärken vertrauen. An diesem Führungsstil werde ich in Zukunft festhalten.

LEADERSNET: Wodurch unterscheidet sich Ihr Programm von jenem des amtierenden Generaldirektors?

Totzauer:  Als langjährige Programm-Macherin waren mir immer unsere Inhalte und Angebote am wichtigsten. Das Konzept von Alexander Wrabetz kenne ich noch nicht, daher kann ich nur von den Punkten ausgehen wo ich den dringendsten Handlungsbedarf sehe. Das sind die Stärkung der österreichischen Produktion und damit mehr Österreich im Programm, die Forcierung von digitalen Programmangeboten, die Stärkung der journalistischen Glaubwürdigkeit und ein größerer Fokus auf Regionalität.

LEADERSNET: Mit Ihrem Bewerbungsvideo, in dem Sie sich an das Publikum wenden, ist Ihnen ein überraschender Move gelungen. Im Clip bezeichnen Sie sich selbst als ein "Produkt des ORF". Was meinen Sie damit?

Totzauer: Ich arbeite seit über 25 Jahren im ORF, habe dabei so gut wie alle Teilbereiche von Regionaljournalismus im Landesstudio bis hin zur Konzeption, Planung und Umsetzung von großen Unterhaltungsshows durchlaufen und weiß daher sehr genau wie das "Produkt ORF" in Zukunft aussehen soll.

LEADERSNET: Aktuell sind Sie als Channelmanagerin von ORF 1 im Einsatz, wollen Österreich relevanten Content in allen Genres forcieren und befinden sich mit Streaming und Co. im Match um die junge Zielgruppe. Wie wollen Sie als Generaldirektorin den ORF für eine moderne Mediennutzung fit machen?

Totzauer: Ich denke als Programmacherin bei allen Ausspielkanälen immer vom Inhalt und der NutzerInnen-Seite her. Das heißt: technische, strukturell oder räumliche Vorgaben sind immer nur als Werkzeuge für unsere Redakteur:innen zu sehen. Unsere neue On-demand-Plattform muss unsere bisherigen Inhalte so anbieten, dass sie alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten erreicht, und neben den TV und Radio Formaten auch eigenständige neue Inhalte bietet. Natürlich muss es auf dieser Plattform auch ein Live-Angebot geben, damit wir im Bedarfsfall mit Breaking News reagieren können. Am schnellsten verändert sich derzeit der Social media Bereich. Hier brauchen wir eine neue Struktur, die uns flexibel auf neue Trends reagieren lässt.

LEADERSNET: Wie kann die starke Marke ORF transformiert werden? Wie steht es um die Digitalstrategie und geht damit auch ein interner Umbau einher?

Totzauer: Unsere Strukturen sind derzeit stark auf die klassischen Kanälen TV und Radio konzentriert. Wir müssen möglichst schnell eine gleichwertige Struktur für digitale Angebote errichten, um den neuen Anforderungen flexibel gerecht zu werden zu können.

LEADERSNET: Wird der ORF Player noch heuer starten? Welche Pläne haben Sie diesbezüglich?

Totzauer: Gute Frage, ich trete mein Amt als Generaldirektorin im Falle meiner Wahl erst am 1. Jänner 2022 an. Bis dahin kann ich zum ersten Teil ihrer Frage nicht viel sagen. Unbestritten ist aber, dass der ORF ein modernes On-Demand Angebot braucht, das weit über das bloße Ausspielen linearer Angebote hinausgeht.

LEADERSNET: Stichwort GIS, Gebührenerhöhung und GIS-freies Streaming. Was sollte hier reformiert werden?

Totzauer: Bis Ende des Jahres ist jedenfalls von der bisherigen Geschäftsführung ein Antrag auf Gebührenanpassung einzubringen. Ob wir dies zukünftig wirklich nur alle fünf Jahre oder in kleineren Abständen und mit Blick auf die Entwicklung der Inflationsrate machen werden, werde ich mir ansehen. Die Schließung der sogenannten "Streaming-Lücke" ist jedenfalls einer der wichtigsten Punkte eines neuen ORF Gesetzes und ein Akt der Gebührengerechtigkeit.

LEADERSNET: ORF-Chef Wrabetz positionierte sich bei der Ankündigung seiner Bewerbung als erfahrener Alleingeschäftsführer des Milliardenkonzerns und meinte seine Ablöse durch einen bürgerlichen Vertrauensmann wäre ein Zeichen für Politeinfluss und Postenschacher. Was entgegnen Sie dieser Aussage?

Totzauer: Ich fühle mich von diesem Vorwurf nicht angesprochen, denn ich habe 25 Jahre lang unbestritten qualitativ hochwertiges und journalistisch objektives Programm gemacht.

LEADERSNET: Was erwarten Sie in den kommenden Monaten für Österreichs Medienbranche? Was wäre der größte Fehler, den Medien und der ORF im Speziellen jetzt machen könnten?

Totzauer: Der größte Fehler, den die Branchen machen könnte, ist die Chancen auf einen gemeinsamen Neustart zu vergeben. Es braucht einen Schulterschluss mit möglichst vielen kooperationswilligen Akteuren in Österreich. Wir haben als ORF auch die Aufgabe, die Gräben der letzten Jahrzehnte zu überwinden, Vertrauen wiederaufzubauen, um den gemeinsamen Gegnern aus dem Ausland gemeinsam und mit Selbstbewusstsein zu begegnen.

LEADERSNET: Ist ein Schulterschluss der Branche mehr als bisher gefragt?

Totzauer: Ja, aber nicht nur auf programmlicher Ebene, sondern z.B. auch in der Ausbildung junger Mitarbeiter:innen ist es notwendig, dass wir am österreichischen Medienmarkt an einem Strang ziehen. Eine gemeinsame journalistische Ausbildungsplattform nützt uns allen, am Medienmarkt und in unserem demokratischen Selbstverständnis. Denn nur eine starke vierte Säule, garantiert eine lebendige Gesellschaft. (jw)

www.orf.at

 

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