Der Gründer von einer der bekanntesten Agenturen für Produktivitätssteigerung feiert sein 40. Berufsjubiläum. LEADERSNET traf Unternehmensberater Alois Czipin zum Interview über vier Jahrzehnte Business, die menschliche Aversion zu Veränderung und was wirklich die wirkliche Grundlage für nachhaltigen Unternehmenserfolg ist.
LEADERSNET: Herr Czipin, 2018 jährt sich Ihre Tätigkeit als "Produktivitätssteigerer" mit einem besonderen Jubiläum – 40 Jahre, das ist eine lange Zeit. Was hat sich da alles getan, was waren die Meilensteine Ihres Business und wie hat es sich im Laufe der letzten vier Jahrzehnte geändert?
Czipin: Als ich vor 40 Jahren zu arbeiten angefangen habe, da war es eine meiner allerersten Aktivitäten, als ich in einen Betrieb kam, Aktivitätslisten aufzunehmen. Das ist heute nicht viel anders: Wir arbeiten immer noch mithilfe solcher Listen, das ist essentieller Teil unseres Workflows. Dennoch ist auch bei uns vieles anders geworden. Und es geht tatsächlich nicht darum, was anders geworden ist, es handelt sich vielmehr um eine Frage des "Wie". Die Art und Weise wie die Dienstleistung erbracht wird und wie heute mit Mitarbeitern und Führungskräften und Top-Managern kommuniziert wird, hat sich komplett verändert. Früher war das Feld der Produktivitätssteigerung komplettes Neuland in einer Welt der Kommandowirtschaft. Es gab keine ausgesprochene Erwartungshaltung, es wurden Befehle von oben erteilt, die in irgendeiner Art und Weise weiter getragen wurden. Heute ist das anders. Es geht vielmehr darum, Mitarbeiter zu motivieren, zu begeistern, zu ermutigen – auch zu Veränderungen. Es geht nicht mehr darum, die Leute damit zu konfrontieren, was sie alles nicht können, sondern darum, auf konstruktive Art und Weise mit ihnen den Weg zu beschreiten und sich gemeinsam zu fragen, wie man sich verbessern kann und das Leben miteinander einfacher gestalten kann. Es geht tatsächlich auch darum, viel Energie und Ressourcen auf menschlicher Ebene zu sparen.
LEADERSNET: Könnte man auch ein Urteil darüber fällen, ob es heute besser oder schlechter ist als vor 40 Jahren?
Czipin: Ich denke, dass man das schwer so absolut beurteilen kann, da wir in vielen Aspekten in einer gänzlich anderen Berufswelt leben. Potenziale gibt es heute genauso, wie es sie früher gegeben hat, weil es Kern der Sache ist, das organisatorische Miteinander zu verbessern. Hier gibt es so gut wie immer Raum für Optimierung. Heute startet man dabei natürlich von einem anderen Niveau, viele Prozesse wurden bereits automatisiert. Man muss sich vorstellen, dass es ja vor 40 Jahren noch nicht einmal effiziente Kopiermaschinen gab, geschweige denn Handys oder PCs. Die Welt, in der wir heute Leben, ist eine komplett andere, wir agieren von einem anderen Niveau. Nicht nur vom technisch-automatisierten Aspekt her, auch vom Anspruch der Kunden. Die Erwartungshaltung ist eine akute: "Ich will das und das jetzt haben, ich will es sofort und ich will nicht warten." Das sind alles Themen, die es in dieser Form vor 40 Jahren einfach nicht gab.
LEADERSNET: Inwieweit macht diese Geschwindigkeit, die da verlangt, aber auch vorgelegt wird, Probleme und inwieweit spielt die Digitalisierung in diesem Zusammenhang eine Rolle?
Czipin: Die Digitalisierung spielt eine gewaltige Rolle. Menschen allgemein und Kunden natürlich insbesondere erwarten, dass die Dinge heute sofort passieren – manchmal zu Recht, manchmal vielleicht auch zu Unrecht. So oder so entkommt man dieser Erwartungshaltung nicht. Diesen Ansprüchen muss man sich heute stellen und ihnen bestmöglich entsprechen. Man muss allerdings auch klar sagen, was nicht geht. Ich erlebe Unternehmenskunden von uns, die ihrerseits Kundenbeziehungen eingehen und wirklich Handstände machen, um ihren Kunden alle Wünsche von den Augen abzulesen. Das kostet ein Schweinegeld, und wenn ich das nie zum Thema mache, dann schlucke ich die ganzen Kosten und kann noch so produktiv sein, aber am Ende des Tages habe ich nichts davon. Ebenso verhält es sich mit dem ganzen Nivelieren von Servicegraden, ebenso wie deren Preisen, das ist heute ein großes Thema das allerdings nur selten Anwendung findet.
LEADERSNET: In einer Zeit hoher Marktsättigung in so gut wie allen Branchen, mit einer Flut an Mitbewerbern, gegen die man sich als Marke durchsetzen muss, stellt sich die Frage, inwieweit sich da die Prioritäten verschieben. Es scheint oft so, dass es nur um den Preis geht, wenn es doch eigentlich um die Marke gehen sollte?
Czipin: Es ist eine Kombination aus beidem, realistisch gesehen. Natürlich wird der Preis hoch gespielt – wenn man Apple als prominentes Beispiel nimmt. Die verkaufen ihr iPhone auch um bis zu 1.500 Euro und egal wie laut ich nach dem Preis schreie, ich werde das Gerät einfach nicht billiger kriegen. Die Marke ist einfach so stark und dementsprechend sind diese Preise auch durchsetzbar, ob nun rein materiell gerechtfertigt oder nicht. Das gilt auch für andere Unternehmen. Versuchen Sie mal einen Rabatt im "Four Seasons" zu bekommen – keine Chance. Wenn Marken stark genug sind, dann haben sie auch eine gewisse Preisautonomie. Die Stärke der Marke ist und bleibt für den Preis enorm wichtig und wenn die Markenmerkmale stark genug sind, dann sind die Menschen auch bereit, dafür zu zahlen, auch wenn sie es natürlich gerne billiger hätten.
LEADERSNET: Bedeutet das, dass die Markenpflege oberste Priorität hat?
Czipin: Es gibt zwei Dinge, die ein erfolgreiches Unternehmen von seiner Unternehmensführung in klaren Vorgaben bekommen muss: einerseits die Marke, die natürlich per se dann viel über die Preispositionierung aussagt, und auf der anderen Seite das Kostenniveau, welches es zu erreichen gilt. Als kluger Unternehmensführer muss ich mich um beides kümmern. Ich muss sehr wohl einerseits meine Positionierung halten und andererseits schauen, dass ich meine Prozesse so optimiere, dass ich dafür nicht unnötige Kosten eingehe. Denn die Frage ist die: Wo gebe ich meinen Euro aus? Gebe ich ihn da aus, wo er eigentlich keinen Nutzen stiftet oder finde ich einen besseren Weg, um mit dem Geld etwas zu tun, was mir sowohl am Markt als auch beim Kunden einen Vorteil bringt? Also daher ist die Optimierung der Kosten genauso wichtig, wie die Positionierung am Markt. Man kann nicht einfach sagen man schaut auf die Positionierung und alles andere ist mir Wurst.
LEADERSNET: Sie nennen sich die "Produktivitätssteigerer". Stimmt es, dass Sie ein eigenes Modell entwickelt habt, mit dem Sie Ihren Kunden – mit Geld-zurück-Garantie – auch Erfolge garantieren?
Czipin: Wir arbeiten teilweise mit Erfolgshonorar, gebunden an den Erfolg, den der Kunde dann dank unserer Beratung auch tatsächlich hat. Nach diesem Modell arbeiten wir seit knapp 20 Jahren sehr erfolgreich und es dient natürlich auch dazu, unsere Interessen und die unseres Kunden möglichst parallel zu verfolgen. Es ist effektiver als einseitiges Arbeiten, wo sich einer auf den anderen verlässt, denn letztendlich ist es ein Miteinander. Der Berater kann ohne das Management hinter ihm nicht viel Erfolg haben und umgekehrt. Ein Faktum ist aber natürlich, dass die Hauptverantwortungsträger für unternehmerischen Erfolg die Manager selbst sind. Unsere Berater, und darauf lege ich großen Wert, können nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass eine nachhaltige Veränderung im Unternehmen auch wirklich stattfindet. Das wäre so, als würde ich meinen Fitnesstrainer dafür verantwortlich mache, dass ich keine Resultate sehe, wenn ich meinen Trainings- und Ernährungsplan nicht einhalte. Erfolg stellt sich nur dann ein, wenn die Vor- und Ratschläge der Berater auch in das tägliche Leben der Organisation umgesetzt werden.
LEADERSNET: Sie sind viel in Change Management-Prozessen involviert. Inwieweit hat es in diesem Bereich einen gesellschaftlichen Wandel gegeben?
Czipin: Ich denke wir gehen hier in das zutiefst Menschliche hinein, und der Mensch ist ja aus seiner Grundhaltung heraus nicht besonders affin gegenüber allem, was Veränderung betrifft. Da gibt es viele Gründe, die gegen eine Veränderung sprechen. Das Beharrungsvermögen ist grundsätzlich sehr groß. Das war vor 40 Jahren nicht viel anders als heute und ich glaube da wird sich auch nicht viel ändern. Das liegt uns wohl im Blut, ist in unserer DNA verankert. Deshalb erwarte mir jetzt auch nicht plötzlich das "Age of Enlightenment", wo alle sagen "Ändern wir jetzt alles" und alle sind begeistert. Das ist natürlich die Kunst des Beraters und der Produktivitätssteigerer – und wie wir es nennen, der roten Elefanten – diese Lust der Veränderung auch zu fördern. Und zwar nicht dadurch, dass man den Leuten Angst macht, sondern Lust auf Verbesserung macht, dass sie durch die Veränderungen viel konzentrierter arbeiten können, viel besser auf Kunden eingehen können und weniger negative Erlebnisse haben. Wertschätzung ist in diesem Zusammenhang ein großes Thema. Der Mensch ist ein Wertschätzungs-Freak und daher ist er ständig, auch unbewusst, auf der Suche nach dieser Bestätigung und braucht diese auch von verschiedenen Seiten. Für Firmen ist es wichtig, dass ihre Mitarbeiter auch Wertschätzung von Kundenseite bekommen, aber natürlich auch seitens des Managements und der Führungskräfte. Aber wenn es keine Wertschätzung seitens des Kunden gibt, dann ist das alles ein bisschen eine leere Suppe.
LEADERSNET: Ein weiteres Stichwort in diesem Zusammenhang wäre Innovationsgetriebenheit. Gerade große Konzerne sagen, sie brauchen Innovationen um am Markt bestehen zu können. Wie wichtig sind Innovationen am Ende des Tages denn wirklich?
Czipin: Ich glaube große Innovationen passieren nicht jeden Tag. Nehmen wir als Beispiel vielleicht nochmals Apple. Es gab Zeiten, da kamen von Apple beinah im Zweijahrestakt neue Innovationen – früher der iPod, Apple Music und dann das iPhone. Das waren echte Innovationen. Jetzt arbeiten sie vornehmlich an der Verbesserung ihrer Produkte, dazu sind keine Innovationen notwendig, nur Optimierungen. Wenn man heute über Innovationen spricht, dann denken viele an das selbstfliegende Auto oder so etwas Abenteuerliches, was tatsächlich eine echte Innovation wäre. De facto geht es aber vermehrt darum, das Kundenerlebnis einfacher, besser und komfortabler zu machen und da kommen auch wir als Produktivitätssteigerer wieder ins Spiel. Wenn wir Innovationen durch gezielte Prozesse und Systeme stützen können, die Wahrscheinlichkeit und auch die Schnelligkeit deren Umsetzung enorm erhöhen können, dann ist das ein Fall für die roten Elefanten: nicht bei der Innovation selbst zu helfen, sondern bei der Durchsetzung, beim Umsetzen der Innovation in der Wirklichkeit.
LEADERSNET: Wie stehen sie zu dem Spruch, dass zehn bis 15 Prozent des Erfolges die Innovation oder die gute Idee sind und der Rest eigentlich an der Umsetzung liegt?
Czipin: Ja, das ist so. Es gibt da diesen alten Spruch "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es". Das wird sich auch nicht ändern. Es geht definitiv um die Umsetzung und das ist eine Maxime, nach der wir uns und unser Arbeiten ausrichten. Das erste, was ich damals vor 40 Jahren in meinem ersten Training in Brüssel mit auf den Weg bekommen habe, war, dass es nur um die Umsetzung geht. Weil alles, was nicht umgesetzt ist, kann man schon vergessen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es immer noch besser ist, ein nur gutes Konzept 100-prozentig umzusetzen, als ein perfektes Konzept nicht umgesetzt verstauben zu lassen. Das ist wirklich so, daher verwenden wir auch 50 Prozent unserer Zeit mit der Umsetzung. Wir achten darauf, dass die Dinge und Konzepte, die wir entwickelt haben, auch tatsächlich im täglichen Leben greifen und dass es ein funktionierendes System hinter dem betrieblichen Handeln gibt und man sich fragt: Was muss alles sein, dass sich eine hohe Produktivität ergeben kann? Das erfordert ein sorgfältiges Durchdenken und das gleichzeitige Abstellen der Gründe, warum es nicht funktionieren kann.
LEADERSNET: Vielleicht noch etwas Lustiges zum Abschluss: Nach 40 Jahren, was war denn das Skurrilste, was vorgefallen ist?
Czipin: Eines der skurrilsten Dinge, die je vorgefallen sind, war, als wir eine Analyse bei einem Kunden, einer Industrielegende, gemacht haben und in einer Präsentation plötzlich Chaos ausbrach, weil der Kunde unvermittelt komplett ausgezuckt ist. Er hat angefangen mich anzuschreien und mich gefragt was ich mir einbilde, hier seine Firma zu kritisieren, dass stimme alles hinten und vorne nicht und er haue mich gleich raus. Daraufhin meinte ich zu ihm: "Wissen Sie was, wir haben jetzt genau zwei Möglichkeiten: Entweder, Sie hören mir jetzt eine halbe Stunde zu und hören sich an, was ich zu sagen habe und danach können Sie mich immer noch rausschmeißen, oder wir beenden das gleich hier und jetzt." Dann war er ruhig und hat mir sogar eineinhalb Stunden zugehört, hat sich etwas notiert, ging raus und dann kam er wieder zurück. Das ging gute drei, vier Mal so und dann meinte er, er habe jetzt ein paar Dinge selbst recherchiert, ob das wirklich stimme, was wir da sagten, und das sei tatsächlich alles richtig. Daraufhin bekamen wir einen großen Auftrag von der Firma. Die ist heute nach wie vor pumperlg'sund und entwickelt sich seit 20 Jahren formidabel. Ging also alles gut aus, aber es war schon eine haarige und skurrile Situation.
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