Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Wer übernimmt die Führungsrolle in Europa?

| Redaktion 
| 28.04.2024

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Am 9. Juni finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt, im November wird in den USA gewählt. Wie ich es schon in einem früheren Gastkommentar ausgeführt habe, geneigte Leser:innen: Entsprechend dem Ausgang der Wahl(en) werden wir, wird Europa noch mehr auf sich gestellt sein.

Veränderungen und Reformen

Es wäre daher höchst an der Zeit, dass sich die EU – im wahrsten Sinne des Wortes – schlagkräftig aufstellt, sodass schnelle und wirksame Entscheidungen getroffen werden können. Dazu bedarf es allerdings einiger Veränderungen und Reformen, die schlussendlich, neben vielen anderen, auch dazu führen müssen, sich bei Entscheidungen vom Prinzip der Einstimmigkeit zu trennen. Jemand muss aber dennoch die Zügel in der Hand behalten.

So wünschen sich einige Staaten – auch wenn sie das nicht offenkundig, sondern eher hinter vorgehaltener Hand tun –, dass bestimmte Staaten eine Führungsrolle einnehmen sollen. Gemeint sind damit beispielsweise Deutschland und Frankreich, zuletzt auch wieder Polen. Diese "Formation" ist auch unter dem Begriff Weimarer Dreieck bekannt .

Auch ich persönlich bin dieser Ansicht, weil ich ein Problem orte, das Henry Kissinger in eine äußerst treffende Frage gegossen hat: "Wen ruft man an, wen man die EU anruft?" Dies kann sicherlich nicht, zumindest nicht nur, die Kommissionspräsidentin sein. Wie eingangs schon angerissen bedarf es dazu einiger Änderungen bzw. müssen Voraussetzungen geschaffen werden (zu deren Ausgestaltung ich mich aber noch etwas zurückhalten möchte), und dazu zählt jedenfalls, dass in den Staaten entsprechendes Personal dafür vorhanden ist. In Deutschland sehe ich dies zumindest aktuell nicht.

Eitelkeiten über Bord werfen

Wie könnte man aber solch einen Strukturwandel anstoßen? Zuallererst müssten sämtliche EU-Staaten ihre Eitelkeiten über Bord werfen und sich ausdrücklich wünschen, dass ausgewählte Staaten eine solche Führungsrolle übernehmen und dies auch kundtun. Natürlich müssen klare Spielregeln und auch klare gemeinsame Ziele vorab gemeinsam festgelegt werden. Fragen, die in diesem Zusammenhang zwingend geklärt werden müssen sind etwa: Welche militärische Position soll die EU innehaben? Wie sieht ihre Verteidigungsfähigkeit aus? Wie sieht sich die EU als Ganzes? Soll es eine EU sein, die gemeinsame Schulden hat oder nicht? Meine persönliche Ansicht bzw. Präferenz dazu lautet klar Nein. Welche Vorstellung hat die EU in Hinblick auf den Rahmen einer gemeinsamen Außenpolitik? Auf welche gemeinsamen Grundwerte kann man sich innerhalb der EU einigen, insbesondere in Bezug auf Demokratie und Medienfreiheit? Wie weit geht die Subsidiarität? Diese und wahrscheinlich noch eine Reihe anderer Fragen müssten vorab und außerhalb der komplizierten EU-Verträge in einfacher Form als Basis dieser möglichen Führungsrolle von allen Staaten geklärt und definiert werden.

In einem nächsten Schritt müssen klare, einfache, interne sowie externe, politische Kommunikations- und Abstimmungsstrukturen festgelegt werden, um erstens alle Staaten richtig informiert zu halten und zweitens, damit sich vor allem auch keiner der kleine(re)n Staaten übergangen fühlt. Die Einbindung der Brüsseler Institutionen ist zu diesem Zweck jedenfalls erforderlich, aber sämtliche Vorgänge müssen außerhalb der in Brüssel vorhandenen legislativen und bürokratischen Verfahren, wie etwa dem Trilog, erfolgen.

Weimarer Dreieck

Der Erfolg wird jedoch schlussendlich von den verantwortlichen und handelnden Personen der einzelnen "Führungsstaaten" abhängen. Dazu bräuchte es charismatische und kompetente Persönlichkeiten, die nicht nur mit Führungsqualitäten, sondern auch mit Leib und Seele für einen konstruktiven Aufbau Europas stehen, so wie beispielsweise Helmut Kohl oder François Mitterand dies taten. Arroganz oder Überheblichkeit kleineren Mitgliedstaaten gegenüber muss dabei jedenfalls tunlichst vermieden werden. Sollte all dies gegeben sein, wäre ein echtes Aufleben des Weimarer Dreiecks zu begrüßen.

Wie wichtig das Übernehmen einer Führungsrolle – und damit der gesamten damit verbundenen Verantwortung – ist, zeigt sich bei JTI Austria nicht nur innerhalb des globalen Konzerns, in den das Unternehmen eingebettet ist. Mit Blick auf die 240 Jahre Unternehmensgeschichte der Austria Tabak, mit der wir untrennbar verbunden sind, wird ebenso klar, dass Führung unerlässlich ist. Führung im Sinne eines Zusammenhaltens, eines Überblick Bewahrens und des Weichenstellens für die Zukunft. Es gilt salopp gesagt für jede Form des Zusammenlebens, -arbeitens und -wirkens, dass nicht jede:r alles, sondern vor allem das tun sollte, wofür sie oder er Talent, Kompetenz und Freude hat. Zugewiesene Verantwortlichkeiten schaffen Klarheit und Struktur und damit die Basis für Erfolg. Damit ist nicht gemeint, dass eine:r in diktatorischer Manier und nach ihrem:seinem persönlichen Gutdünken anschafft, nein, eine gute Führungskraft zeichnet sich vor allem dadurch aus, die zahlreichen Fähigkeiten der gesamten Belegschaft abzuholen und so einzusetzen, um das Beste hervorzubringen.

Mit diesem Mindset können sich Unternehmen im nationalen, internationalen oder gar globalen Wettbewerb besser durchsetzen, warum sollte Gleiches nicht auch für Staaten oder Staatengemeinschaften gelten?

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