Fotos von der Veranstaltung in Salzburg
49. DHK-Matinee rückte Demokratie und Wettbewerbsfähigkeit in den Fokus

Die Deutsche Handelskammer in Österreich konnte den Harvard-Professor Daniel Ziblatt als Festredner gewinnen. Dieser warnte u.a. vor der Gefahr von "halbloyalen Demokrat:innen". Zudem wurde von der künftigen EU-Kommission gefordert, der Wirtschaft höchste Priorität einzuräumen.

Für ihre 49. Matinee in der Salzburger Residenz lud die Deutsche Handelskammer in Österreich (DHK) einen ganz besonderen Festredner ein: Daniel Ziblatt. Dieser ist nicht nur Eaton-Professor an der Harvard University, sondern leitet seit vier Jahren auch die Forschungsgruppe "Transformations of Democracy" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und zählt darüber hinaus zu den aktuell profiliertesten Demokratieforschern. In seinem Vortrag "Demokratie schützen im Zeitalter des Autoritarismus" sprach Ziblatt von einem subtilen Sterben der Demokratie – ohne Putsch, Gewalt und Waffen. Die große Bedrohung für die Demokratie komme heute aus ihr selbst.

Neben Ziblatt konnte DHK Präsident Hans Dieter Pötsch bei der Frühsommerveranstaltung in der Mozartstadt u.a. den deutschen Botschafter in Österreich, Vito Cecere, Salzburgs Landeshauptmann, den Salzburger Vizebürgermeister und rund 160 Wirtschaftstreibende aus dem deutsch-österreichischen Raum begrüßen.

Antidemokratisch regierte Länder am Vormarsch

In ihrem Bestseller "Die Tyrannei der Minderheit" legen Ziblatt und sein Co-Autor Steven Levitsky dar, dass Demokratien mittlerweile verfassungskonform abgeschafft werden: "Vom Volk gewählte Präsidenten, Premiers und demokratische legitimierte Politiker nutzen die Institutionen der Demokratie, um sie auszuhöhlen." Die Zahl an antidemokratisch regierten Ländern habe weltweit drastisch zugenommen: Chávez in Venezuela, Erdoğan in der Türkei, Orban in Ungarn, Bolsonaro in Brasilien seien den Autoren zufolge Beispiele dafür. Aber auch langjährige Demokratien und prosperierende Wirtschaftsmächte seien nicht vor einem Rückfall in autokratische Strukturen gefeit, wie die aktuelle Situation in den USA und vielen Staaten Westeuropas zeige, so Ziblatt in seiner Rede in Salzburg.

Gesellschaftlicher Wandel als Auslöser

Der Harvard-Professor gab auch eine Antwort auf die Frage, warum sich ursprünglich demokratische Parteien radikalisieren. Für die USA begründet er das mit dem gesellschaftlichen Wandel in den vergangenen 50 Jahren. 1976 waren noch 80 Prozent aller Amerikaner:innen weiß und christlich, 2016 nur noch 43 Prozent. Ziblatt dazu: "Die amerikanische Gesellschaft hat sich dramatisch verändert, aber die Republikanische Partei nicht. Sie ist nach wie vor die überwiegend weiße und christliche Partei in einem Land, das sehr bunt geworden ist. Als solche kann sie aber seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts kaum noch eine Mehrheit an Wählerstimmen bei Präsidentschaftswahlen gewinnen." Eine Gegenreaktion auf diese gesellschaftlichen Veränderungen würde die antidemokratischen Kräfte antreiben.

Ungleichgewicht der politischen Institutionen

Paradoxerweise komme der Republikanischen Partei die amerikanische Verfassung aus dem 18. Jahrhundert zugute: einst zum Schutz von Minderheiten so beschlossen, könne sie heute zum Umkehren politischer Verhältnisse missbraucht werden. Das System der Wahlmänner und Wahlfrauen sorgt in den USA dafür, dass kleine Staaten mit wenigen Einwohner:innen überdurchschnittlich viel Einfluss erhalten. Damit konnte Donald Trump 2016 ohne Mehrheit an Wählerstimmen die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden. Ein Missverhältnis an Macht bestimme laut Daniel Ziblatt aber auch den Senat, die zweite Kammer des Kongresses. Die Filibuster-Regelung ermögliche es Minderheiten, eine Beschlussfassung zu verhindern. Im Supreme Court können Richter bis zu ihrem Lebensende Mehrheiten blockieren. Das alles führe zu einer Verzerrung des politischen Systems.

Halbloyale Demokrat:innen

In den USA wie in Europa unterstützen 20 bis 30 Prozent der Wähler:innen rechtsradikale und populistische Parteien. Das sei zwar eine Bedrohung, aber noch keine Mehrheit. Die Erfüllungsgehilfen bezeichnet der Harvard-Professor als "halbloyale Demokrat:innen" in der Republikanischen Partei, welche Antidemokrat:innen gewähren lassen, um ihrer eigenen politischen Karriere nicht zu schaden. Das sollte laut Ziblatt auch uns Europäer:innen eine Warnung sein. Hans Dieter Pötsch warnte davor, dass "Populismus und Extremismus an beiden Enden unseres politischen Spektrums unsere Gesellschaft abschotten, die Meinungsvielfalt einschränken und damit unsere geistig innovativen Fähigkeiten beschneiden wollen. Die Lösungen für die Zukunft kommen aber aus freien und offenen Gesellschaften."

Appell an neue EU-Kommission

Angesichts der kürzlich stattgefunden EU-Wahlen verwies der DHK Präsident auf die "Notwendigkeit einer EU-Kommission, welche der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Wirtschaft höchste Priorität einräumt. Der Stillstand in der EU-Handelspolitik der vergangenen Jahre muss ein Ende haben." Pötsch sprach sich dafür aus, dass einzelne EU-Staaten ihre Blockadepolitik gegenüber Freihandelsabkommen aufgeben und dass die Belastungen für die Wirtschaft bei Steuern und bürokratischen Vorschriften reduziert werden.

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer sprach vom "Anfang des Endes der Aufklärung. Wir leben in einer Zeit, in der Emotionen überhandnehmen und die Vernunft zurückgedrängt wird." Der Mitte sei die "große Erzählung" abhandengekommen. Dabei hätten die Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Orientierung, Sicherheit und Leadership.

Auch Salzburgs Vizebürgermeister Florian Kreibich betonte die Wichtigkeit von funktionierenden Wirtschaftsbeziehungen und Netzwerken wie dem der Deutschen Handelskammer in Österreich.

LEADERSNET war bei der Matinee. Fotos sehen Sie in unserer Galerie.

www.oesterreich.ahk.de

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