In der heutigen Wirtschaftswelt scheinen Strategie und Finance oft entgegengesetzte Ziele zu verfolgen. Das ist nicht nur der Fall, wenn CEOs und CFOs im Vorstandsmeeting ihre unterschiedlichen Vorstellungen in puncto kurzfristige finanzielle Rentabilität und langfristige Investitionen unter einen Hut bringen müssen, sondern zeigt sich auch in der tiefen Kluft zwischen den entsprechenden Disziplinen in Forschung und Lehre.
Ursachenforschung
Der akademische Leitet des MBA Finance der der WU Executive Academy, Jakob Müllner, ist den Ursachen dieses wechselseitigen Desinteresses auf den Grund gegangen und erklärt, wie Führungskräfte diese beiden gegensätzlichen Kräfte im Arbeitsalltag aufeinander abstimmen können.
"Es ist spannend zu beobachten, wie wenig interdisziplinärer Austausch zwischen den Top-Forschern in den Bereichen Finance und Strategie stattfindet. Auf der ganzen Welt sind universitäre Institute und wissenschaftliche Konferenzen entweder dem einen oder dem anderen Bereich zugeordnet und auch zwischen den jeweiligen Curricula gibt es keinerlei inhaltliche Verknüpfungen, sodass Lehrveranstaltungen zu Finanzstrategie oder strategischem Finanzwesen de facto nicht existieren. Aber warum ist das so? Und noch viel wichtiger: Was können Führungskräfte daraus lernen?", sagt Jakob Müllner, Professor am Institute for International Business der WU.
Blick in die Geschichte
Die Bereiche Finance und Strategie verfolgten in ihrer Entwicklung von Anfang an unterschiedliche Zielsetzungen und waren zudem von entgegengesetzten Weltanschauungen geprägt. Der Bereich Finance war darauf ausgerichtet, zu verstehen, wie „normale" Unternehmen in "funktionierenden Märkten" operieren, und dabei grundlegende Mechanismen zu identifizieren, die auf alle Unternehmen anwendbar wären.
"Wenn man eine Analogie zur Medizin ziehen möchte, konzentriert sich Finance auf die Physiologie von Unternehmen. So wie beim menschlichen Körper wird erforscht, welche Prozesse unter normalen Bedingungen ablaufen", so der Experte.
Der Bereich Strategie befasste sich auf der anderen Seite immer zuallererst mit den Sonderfällen, den Ausnahmen zur Regel und den Spitzenreitern unter den Unternehmen. Das Augenmerk war hier weniger darauf gerichtet, wie „normale" Unternehmen agieren, sondern was manche erfolgreicher als andere macht. "Wenn wir wieder den Vergleich mit der Medizin bemühen, ist Strategie die klinische Medizin, der es nicht um ein Verständnis des Körpers (beziehungsweise des Unternehmens) im Allgemeinen geht, sondern darum, die Ausnahmen zu beschreiben - wie etwa Krankheiten", ergänzt Müllner.
Die Auseinandersetzung mit Ausnahmen erfordert keine Annahmen über optimale Marktmechanismen (Markteffizienz). Nicht selten sind es gerade kleine Verwerfungen, die einen Wettbewerbsvorteil entstehen lassen. Unternehmen sind beispielweise oft nicht austauschbar, da sie über einzigartige Ressourcen mit strategischem Wert verfügen. Dies gilt gleichermaßen auf einer übergeordneten Marktebene. Märkte sind bei der Einpreisung von sozialen und Umweltauswirkungen nicht effizient. Diese Verfehlungen der Märkte haben sich in jüngster Zeit unter dem Schlagwort ESG als strategische Chance erwiesen. Der Bereich Strategie punktet also bei der Erklärung von Abweichungen von der Norm, ist aber notorisch unzuverlässig, wenn es um generalisierbare Empfehlungen geht. Denn: Des einen Unternehmens Erfolgsstrategie ist des anderen Unternehmens Bauchlandung.
Das Beste aus zwei Welten vereinen
Die Aufgabe von CEOs sei es, die grundlegenden Wirkungsweisen aus beiden Bereichen, also Finance und Strategie zu verstehen. Auch wenn Strategic Foresight und Financial Due Diligence in der Theorie wie Yin und Yang entgegengesetzte Pole erscheinen mögen, sei es für den Fortbestand des Unternehmens unerlässlich, ein Gleichgewicht herzustellen und die Perspektiven beider Bereiche zu berücksichtigen.
Die Lösung
Dogmatische Herangehensweisen und unüberwindbar scheinende ideologische Grenzen bergen die Gefahr, dass sich Unternehmen in einem immer dynamischer werdenden Umfeld in einem der beiden folgenden Szenarien wiederfinden:
- Erste Möglichkeit: Eine reine Ausrichtung auf finanzielle Ziele führt zum Versäumnis, wichtige strategische Investitionen zu tätigen, wodurch das Unternehmen schlussendlich im Wettbewerb zurückfällt.
- Zweite Möglichkeit: Eine zu sorglose Einstellung hinsichtlich der finanziellen Gesundheit des Unternehmens führt zu sogenannten Kosten aufgrund finanzieller Anspannung (engl. costs of financial distress), wenn der Markt aufgrund äußerer Umstände immer häufiger aufgewühlt wird.
Manager:innen seien hier gutberaten, den Wert der beiden Perspektiven in unterschiedlichen Kontexten zu kennen, um sich die jeweiligen Stärken zunutze machen zu können. Die Frage, die bleibt und die nach einer Antwort verlang ist, wie können Führungskräfte diese widersprüchlichen Stoßrichtungen austarieren?
Jakob Müllner gibt einige praktische Ratschläge, die dabei helfen sollen.
- Denken Sie probabilistisch, nicht deterministisch: Finanzexpert:innen kennen sich gut mit Zahlen aus. Doch auch wenn jede einzelne Rechnung bis auf die letzte Kommastelle stimmt, basieren Finanzmodelle letztendlich auf vielen Annahmen. Diese gehen immer von einem Status quo aus und können die dynamische Entwicklung der Zukunft nicht abbilden. Aus diesem Grund sollten Finanzindikatoren wie der Kapitalwert nicht als verlässliche Aussagen über die Zukunft, sondern als Schätzungen, was ceteris paribus ("unter sonst gleichen Bedingungen") mit einer nach links und rechts ausschlagenden Wahrscheinlichkeitsverteilung eintreten kann, gewertet werden.
- Erfassen Sie zuerst, welche Art von Entscheidung gefragt ist: Vor einer Entscheidung sollten Führungskräfte stets bewerten, welche Art von Entscheidung es zu treffen gilt und wie es um die Effizienz des Marktes steht. Für effiziente Märkte sind nämlich eine finanzbasierte Metrik und Logik häufig verlässliche Instrumente. Wenn Entscheidungen einzigartige, undurchsichtige oder kontextabhängige Märkte oder Vermögenswerte betreffen, können strategische Ansätze treffgenauer sein. Die Anwendung von Finanzmetriken (wie dem Kapitalwert) bei solchen Entscheidungen kann den Blick auf strategische Auswirkungen verstellen. Es gibt zwar Methoden zur Berücksichtigung des strategischen Wertes bei der Investitionsbewertung (z. B. Realoptionen oder Simulationen), doch auch diese Ansätze stoßen an ihre jeweiligen Grenzen und bedürfen seitens der Führungskräfte viel Expertise bei der strategischen Validierung.
- Misstrauen Sie Prognosen (den eigenen wie auch jenen von Expert:innen): Dasselbe gilt für Prognosen. Sie sind lediglich mathematische Voraussagen basierend auf dem gegenwärtig bekannten Status quo und können einem dynamischen Umfeld daher nie gerecht werden. Jegliche Bewertungen und Investitionsentscheidungen sollten vor diesem Hintergrund betrachtet werden.
- Berücksichtigen Sie immer die Sichtweise von Insider:innen und Outsider:innen: Den Bereichen Finance und Strategie liegen entgegengesetzte Weltanschauungen zugrunde, was verzerrte Einschätzungen zur Folge haben kann. Wenn Führungskräfte sowohl interne als auch externe Perspektiven berücksichtigen, kann das manchen Vorurteilen entgegenwirken. Wenn beispielsweise eine Investition bewertet werden soll, ist eine Insiderperspektive, die Kosten, Einnahmen und Risiken des Projekts berücksichtigt, unabdingbar; dieser sollte jedoch immer auch ein Blick von außen zur Seite gestellt werden, um aus Erfahrungswerten aus vergleichbaren Projekten profitieren zu können.
- Vorsicht ist besser als Nachsicht: halten Sie Notfallpläne bereit: Wenn für die Zukunft nur Wahrscheinlichkeiten vorausgesagt werden können, ist es zwingend erforderlich, dass Führungskräfte entsprechende Notfallplänen für negative Entwicklungen in der Lade haben. Kommt es dann doch besser als gedacht, kann die Rendite maximiert werden (in der Finanztheorie ist dies auch als Realoption bekannt). Im Idealfall verfügen Unternehmen über ausreichend operative und finanzielle Flexibilität, die den Wert des Betriebs insbesondere in unsicheren Zeiten steigert.
Das Fazit
Wenn Führungskräfte diese einfachen Grundregeln befolgen, können laut Jakob Müllner aus CEOs deutlich bessere Finanzexperten und aus CFOs erfahrene strategische Planer werden.
www.executiveacademy.at
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