LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Glawischnig, erzählen Sie Ihren Hintergrund. Wie sind Sie aufgewachsen? Was hat Sie geprägt?
Eva Glawischnig: Ich bin eine geborene Kärntner Wirtshaustochter, war von klein auf an Arbeit gewöhnt und komme aus einem eher rechtskonservativen Umfeld – was für diese Gegend typisch war. Die Ausbildung am neusprachlichen Gymnasium bereitete mir viel Freude, und nach einem "Ausflug" in die Elektrotechnik verschlug es mich dann doch in die Juristerei. Ich habe mich sehr früh spezialisiert und meine Dissertation im Bereich grenznaher AKWs verfasst. Dies hat mich dann auch dazu veranlasst, früh in meinem politischen Werdegang gegen das Kernkraftwerk Mochovce zu prozessieren. Die Grünen unterstützten mich hierbei sehr früh, ebenso wie in meinem Vorgehen gegen Facebook. Es waren etwa 50 Verfahren, und wir haben fast alle gewonnen. Die Klagen ebneten den Weg für wegweisende Entscheidungen zur Sicherstellung der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes der Nutzer.
LEADERSNET: Sie haben die österreichische Politik maßgeblich mitgeprägt und waren 18 Jahre bei den Grünen und neun Jahre davon als Parteichefin. Welche Erfahrungen haben Sie während Ihrer Amtszeit gesammelt, die Sie am meisten beeinflusst haben?
Glawischnig: Ich habe in dieser Zeit meine beiden Kinder geboren und das zehrte an meinen Kräften. Ein Baby und einen 3-Jährigen zuhause zu haben, dazu noch die Partei zu führen und im Parlament Klubchefin zu sein... es war eine schwierige Zeit. Nach 18 Jahren in der Partei und neun Jahren an ihrer Spitze fühlte ich mich ausgebrannt und einfach erschöpft. Mein Mann und die ganze Familie waren während dieser Zeit tragende Säulen für mich. Es gab keine Karenz für mich. Politik macht nie Pause, und das ist nun mal ein durchgehendes Hamsterrad.
LEADERSNET: Sie sind aus gesundheitlichen Gründen von allen Ämtern zurückgetreten. Wie geht es Ihnen jetzt und wie haben Sie sich seitdem weiterentwickelt? Wie erlebten Sie Ihre Karriere bei Novomatic nach Ihrer politischen Tätigkeit?
Glawischnig: Der Ausstieg aus der Politik war der Gesundheit geschuldet – das ist korrekt. Ich brauchte eine gewisse Pause und habe dann doch länger nach etwas Neuem gesucht. Es war gar nicht so einfach, nach der Politik beruflich wieder Fuß zu fassen. Meine Tätigkeit in diesem Konzern war eine ganz andere als meine vorherige politische Arbeit. Viele Menschen verstanden nicht, warum ich dorthin gegangen bin. Dennoch wählte ich diesen Weg, weil ich im Bereich CSR etwas bewegen wollte. Daher übernahm ich bei Novomatic den gesamten Bereich der Corporate Social Responsibility. Es war spannend und interessant, und ich deckte damit sowohl ökologische als auch soziale Themen ab. Jugendschutz, Spielerschutz, Prävention, Umweltthemen – also Konzepte zu entwickeln und diese konzernweit umzusetzen. Ich habe dabei viel gelernt und war auch international viel unterwegs.
LEADERSNET: Was empfanden Sie als herausfordernd in diesem weltumspannenden Konzern?
Glawischnig: Novomatic hatte mehr als 300 Tochterunternehmen und ich habe dort in aller Ausführlichkeit und Härte gelernt, die Zahlen der Tochterunternehmen zu erfassen, die verständlicherweise ganz andere Sorgen als soziale und ökologische Themen hatten. Dennoch habe ich dort in aller Ausführlichkeit und Härte gelernt, die Zahlen der Tochterunternehmen zu erfassen, die verständlicherweise ganz andere Sorgen als soziale und ökologische Themen hatten. Dinge wie Wasserverbrauch, Stromverbrauch, Energieeinsparungen und Photovoltaikanlagen sowie ähnliche Aufgabenstellungen haben mich in dieser Zeit beschäftigt, was mir aber viel Freude bereitet hat.
LEADERSNET: Für welche Regionen waren Sie zuständig? Wie Unterschieden sich die Länder im Hinblick auf Mentalität, Nachhaltigkeit und soziale Themen?
Glawischnig: Schwerpunktländer waren Deutschland, Holland, UK, Spanien, Italien, Österreich. Wir haben uns sehr bemüht Mittel- und Osteuropa auszubauen, die verständlicherweise auch andere Prioritäten hatten. Das Baltikum, Polen, Ungarn, Tschechien – die haben da noch eine etwas andere Sichtweise und Einstellung zu diesen Themen.
LEADERSNET: Was war dann? Können Sie uns ein wenig erzählen, was Sie jetzt tun?
Glawischnig: Heinz Christian Strache holte aufgrund seiner "Ibiza-Affäre" das Unternehmen wieder sehr stark in die Öffentlichkeit. Ein Untersuchungsausschuss wurde dann eingerichtet, und als Ex-Politikerin wäre ich da auch eine "Zielscheibe" geworden. Das Ganze war ebenso für das Unternehmen sehr schwer. Novomatic zahlt sehr viele Steuern in Österreich, beschäftigt zigtausende Menschen und wird dennoch politisch immer wieder sehr angegriffen. Für mich war das dann auch der richtige Zeitpunkt, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen.
LEADERSNET: Die Standort-Diskussion kam erst kürzlich aufgrund des Mateschitz-Erben "Mark Mateschitz" auf. Schädigungen diese Neiddebatten nicht auch den Standort Österreich?
Glawischnig: Ich bin eine große Gegnerin davon, Privatpersonen irgendwie in die Politik hineinzuziehen. Ich habe das nicht für richtig befunden. Man kann über Vermögenssteuern und Erbschaftssteuern sachlich diskutieren. Man muss nicht Einzelpersonen, die mit der Politik überhaupt nichts zu tun haben, da hineinziehen. Hinzu kommt, dass Mateschitz das in Österreich aufgebaut hat. Er hat wahnsinnig viele Arbeitsplätze geschaffen, hat wahnsinnig viel Steuern gezahlt und sich sein Leben lang abgerackert. Das kann man auch in irgendeiner Form honorieren. Das ist nicht einfach ein "böser Reicher", sondern er ist einfach ein Gründer gewesen. Das sind ganz besondere Persönlichkeiten. Mateschitz war ein Gründer, der wirklich groß gedacht hat.
LEADERSNET: Was tun Sie mit Ihrem Unternehmen konkret?
Es sind mittlerweile zwei Standbeine, die ich habe. Das eine ist, dass ich Unternehmen bei der Transformation im Hinblick auf den gesamten Nachhaltigkeitsprozess helfe. Mein juristisches Know-how kommt mir aufgrund ständiger Verschärfungen und neuer Regulierungen hier zugute. Aber mir sind auch andere Themen wie Diversity, also Frauengleichstellung, wichtig, und ich schaue, wie ich junge Talente fördern kann. Dinge wie Employer Branding sind dabei beispielsweise relevant. Meine Erfahrung ist, dass es für viele junge Leute wichtig ist, dass ein Unternehmen auch einen Zweck verfolgt, der über Produktion und Gewinn hinausgeht. Viele Unternehmen sehen sich mittlerweile nicht mehr nur als reiner Wirtschaftsbetrieb, sondern auch als Teil der Gesellschaft im Ganzen.
LEADERSNET: Und was ist Ihr zweites Standbein?
Glawischnig: Hier widme ich mich dem Leadership Coaching. Das sind vorwiegend Frauen, die ich im Bereich der Selbstführung und Selbstentwicklung unterstütze. Es handelt sich dabei um die Weitergabe meiner eigenen Erfahrungen, die ich in meiner Rolle als Führungskraft gesammelt habe. Wie kannst du Teams formen? Wie kannst du die Motivation steigern? Wie kannst du dich in Sitzungen und bei der Sitzungsführung besser präsentieren? Aber auch Kommunikationstrainings sind wichtig, denn fast jeder in Führungspositionen, sei es auf mittlerer oder höherer Ebene, muss ständig nach außen kommunizieren.
LEADERSNET: Wie haben Sie Ihre Zeit als Stipendiatin in den USA erlebt? Die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen haben uns vor Augen geführt, dass uns die Amerikaner um viele Längen voraus sind, wenn es zur Sicherstellung leistbarer Energie kommt. Was ist Ihre Ansicht dazu?
Glawischnig: Ich habe mich bereits in sehr jungen Jahren für Umwelt und Umwelttechnik interessiert. Ich wurde dann als Stipendiatin für dieses Programm ausgewählt, um die sogenannten "Upcoming Leaders Europas" ein wenig an die USA zu binden. Das ist eine eigentlich sehr clevere Vorgehensweise. Ich durfte dann in den USA herumreisen und von Gentechnik bis Wasserkraft die unterschiedlichsten Dinge besichtigen und besser verstehen. Zu Ihrer anderen Frage: Die USA machen mit ihrem "Inflation Act" auch wirklich etwas Gutes. Es gibt kein großes Unternehmen auf der Welt, das nicht in den USA investiert. Europa ist da einfach behäbiger und schwerfälliger. Natürlich gibt es Bemühungen, aber bei uns ist die europäische Ebene einfach noch nicht so stark. Durch diese unterschiedlichen Länderinteressen driftet Europa immer wieder auseinander, anstatt auch wirtschaftspolitisch mehr an einem Strang zu ziehen. Deshalb bin ich eine glühende Europa-Verfechterin und halte nichts von Schlagworten wie "Festung Österreich" oder Dinge wieder alleine zu machen. Gegen Amazon, Google und Co und gegen diese ganzen globalen Player kann nur ein starkes Europa in irgendeiner Form eine wirtschaftliche Kraft darstellen – alles andere funktioniert einfach nicht.
LEADERSNET: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die österreichische Politik in den nächsten fünf Jahren?
Glawischnig: Ich sehe jetzt vor allem in der Wirtschaft ein Riesenthema, wenn die Auftragsbücher in den nächsten zwei, drei Jahren nicht mehr so voll sind. Ebenso glaube ich, dass die Steuer- und Abgabenquote mittelfristig gesenkt werden muss und es eine Verwaltungsreform braucht. Ich habe ja jahrelang in diesem sogenannten Österreichkonvent gesessen. Das war der Versuch, eine Verfassungsreform auf die Beine zu stellen, bei der man föderalistische Strukturen und alles andere hinterfragt. Sind diese noch zeitgemäß? Braucht es das oder etwas anderes? Funktioniert das noch? Leider sind wir in dieser Hinsicht keinen Schritt weitergekommen.
LEADERSNET: Wo fanden Sie das härtere Pflaster vor? In Ihrem politischen Tun, als Angestellte bei Novomatic oder jetzt als selbständige Unternehmerin?
Glawischnig: Das Härteste war mit Abstand die Politik, weil du ständig Zielscheibe von Negativem bist. Deshalb war es für mich dann angenehm, in einem Unternehmen zu arbeiten. Dort gab es Höflichkeit und eine höfliche Distanz und einen netten Umgang miteinander. Wenn man sich die Politik von außen anschaut, sieht man das. Keine normalen Leute würden so miteinander reden oder so miteinander umgehen. Der Umgangston ist schon so unangenehm, und das vermisse ich wirklich nicht. Und wenn man lange darin ist, wird die Haut nicht dicker, sondern dünner, und man wird empfindlicher. Die Selbstständigkeit brachte dann ihre eigenen Herausforderungen: Netzwerk aufbauen, Kundengewinnung, Digitalisierung, Marketing, Erarbeitung von Konzepten, immer wieder neue Problemstellungen, Bürokratie, usw.
Einer der drängendsten Probleme der westlichen, entwickelten Welt ist, dass wir nicht genug nachhaltiges, wirtschaftliches Wachstum haben. Das verursacht eine Menge Probleme und gefährdet auch Frieden, Freiheit und Wohlstand. Können neue Technologien wie AI, die fehlende Produktivität der letzten Dekaden zurückbringen? Was sind mögliche Lösungsansätze? Manche Technologien reduzieren Ungleichheit und manche verstärken diese...
Ich teile schon jetzt eher die These von Richard Precht, nämlich dass das, was an Arbeitskräften ersetzt wird, nicht alles durch Produktivitätssteigerungen oder durch neue Arbeitsfelder kompensiert werden kann. Es werden nicht alle Menschen Programmierer werden... Ich glaube, dass wir uns bereits in einer Phase befinden, in der wir mittelfristig über Grundeinkommen und Arbeitszeitverkürzung nachdenken müssen. Aber soweit sind wir noch nicht. Ich halte die derzeitige Debatte über 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich für nicht durchführbar.
LEADERSNET: Abschließend, könnten Sie uns etwas über Ihre aktuellen Aktivitäten und Interessen abseits der Politik erzählen? Welche Projekte liegen Ihnen am Herzen? Was sind Ihre Pläne für die Zukunft und wie möchten Sie weiterhin einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft nehmen? Haben Sie einen Traum, den Sie sich gerne einmal erfüllen würden? Um was geht es im Leben?
Glawischnig: Was ich mir gerne noch erfüllen würde, wäre eine Ballonfahrt über die österreichischen Alpen. Beruflich macht mir meine Arbeit Spaß, und das möchte ich solange wie möglich so fortsetzen. Ich möchte Unternehmen weiter bei ihrer Transformation unterstützen und so dem Land, den Menschen und unserer Gesellschaft etwas Gutes tun. Deshalb finde ich auch ganz wichtig, dass diejenigen, die sich bisher noch überhaupt nicht mit diesem Thema beschäftigt haben, damit einfach anfangen. Es geht nur darum, den Schritt in die richtige Richtung zu machen und sich zu bewegen, ohne von vornherein schon alles zu 100 Prozent perfekt haben zu müssen.
LEADERSNET: Wenn Sie Ihr Unternehmen nicht leiten und nicht Ehefrau und Mutter von zwei Kindern sind, und Sie nicht als Coach für Führungskräfte und Frauen beschäftigt sind, was machen Sie sonst da draußen?
Glawischnig: Ich habe das "Garteln" lieben gelernt. Also ich habe totale Freude, wenn irgendwie Chili und Basilikum und meine Paprika und Tomaten gedeihen. Ja, da bin ich ganz happy drauf. Da darf niemand was runter naschen, bis ich es erlaube... Und ich spiele mittlerweile sehr gerne Golf. Also das ist das Schönste für mich, einfach vier, fünf Stunden einfach zu gehen – gehen, gehen, gehen. Das ist anders als eins Stunde laufen zu gehen oder so... Das hat für mich etwas Meditatives und das mache ich einfach wahnsinnig gerne...
www.sustainability-consulting.at
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