"Ich sehe mich nicht in Konkurrenz zu anderen, ich stehe nur im Wettbewerb mit mir selbst"

Anlässlich des "Welt-Ballett-Tages" am 5. Oktober spricht Liudmila Konovalova, Erste Solotänzerin am Wiener Staatsballett, im LEADERSNET-Interview über die Bedeutung des Tages, die persönlichen Herausforderungen im Leben einer Ballerina und über ihre Rückkehr zu den großen Klassikern auf der Bühne.

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Konovalova, was bedeutet der Welt-Ballett-Tag für Sie?

Liudmila Konovalova: Der Welt-Ballett-Tag ist ein eindrucksvoller 'Reminder': Ballett ist keine antiquierte Kunstform für Elite-Säle, sondern ein leidenschaftlicher Lebensstil, der die Welt bewegt. In einer Zeit, in der oberflächliche Kommunikation regiert, erinnert uns dieser Tag daran, dass Tanz ohne Worte oft mehr sagt und das Herz mehr berühren kann als tausend Worte.

Dieser Tag ist ein Appell an diejenigen, die den Mut haben, sich in die harte Disziplin des Balletts zu stürzen. Er feiert die Leidenschaft, die Tänzer in ihren Bewegungen zum Leben erwecken, und die Disziplin, die erforderlich ist, um die technische Perfektion zu erreichen, die das Ballett auszeichnet.

In Wien, einer Stadt, die für ihre kulturelle Pracht und ihre Geschichte als Kulturstadt bekannt ist, findet die Kunst des Balletts einen besonders würdigen Rahmen. Tanzen ist für mich sowohl Leistungssport als auch etwas Spirituelles. Denn beim Tanzen begegne ich mir selbst, ich beschäftige mich mit meinen Gedanken und Gefühlen und ich kann meine Geschichte erzählen. Die perfekte Ausführung ist immer mein oberstes Ziel.

LEADERSNET: Nachdem es in den letzten Jahren am Wiener Staatsballett viel Spielraum für moderne Interpretationen gab, stehen aktuell wieder die großen Klassiker im Vordergrund. Sie sind bei Don Quixote und Giselle in der Hauptrolle zu sehen. Was bedeutet das für Sie?

Konovalova: Die Rückkehr zu den großen Klassikern bedeutet für mich eine aufregende Phase in meiner Karriere. Das Publikum liebt diese klassischen Stücke, und die Applaus-Stürme nach den Aufführungen sind eine schöne Bestätigung für die harte Arbeit, die wir in den Proben investiert haben.

Ich freue mich sehr, wieder Don Quixote zu tanzen. Es ist eines der anspruchsvollsten Stücke überhaupt. Kitri und Basil tanzen den ganzen Abend und verlassen die Bühne nur, um ihre Kostüme zu wechseln. Die größte Herausforderung besteht darin, die Technik auf sehr hohem Niveau leicht und mühelos aussehen zu lassen. Kitri ist ein vielseitiger Charakter – temperamentvoll, heiter, charmant, frech. Diese Rolle erfordert nicht nur technische Finesse, sondern auch die Fähigkeit, den Charakter im Laufe des Balletts zu verändern. Um das glaubhaft darzustellen, muss man die Technik perfekt beherrschen, denn unser Körper ist das Instrument, mit dem wir dem Publikum die Geschichte erzählen. Dieses Stück bringt jede:n Tänzer:in auf eine neue Ebene und hilft, zu wachsen.

Giselle ist ein zutiefst berührendes Stück, das die Emotionen und Schönheit der klassischen Ballettkunst zum Ausdruck bringt. Der Dichter Heinrich Heine überliefert die Sage von den geheimnisvollen Wilis, jenen jungen Frauen, die vor ihrer Hochzeit sterben müssen, weil ihre Liebe verraten wurde. In ihren toten Herzen schlägt eine ungezähmte Tanzlust weiter. Als Geister verlassen sie nachts ihre Gräber – und sollte sich ihnen in dieser Zeit ein Lebender nähern, so tanzen sie ihn zu Tode. Es geht um Liebe, Vergebung, Verrat, Tod – ich denke, dieses Ballett kann wirklich jedem nahe gehen. Die Komplexität besteht vor allem darin, zwei verschiedene Charaktere und Stile zu zeigen. Im zweiten Akt spielen wir das Leben nach dem Tod und im Sinne der Wilis muss ein Bild von Geistern, luftigen, ästhetischen und schwerelosen Wesen geschaffen werden. Dieses Ballett erfordert die Balance von Leichtigkeit und Schwere, die nur durch herausragende Technik und eine starke künstlerische Persönlichkeit erreicht werden kann.

LEADERSNET: Bevorzugen Sie persönlich klassische oder moderne Stücke?

Konovalova: Für mich ist es wichtig, beide zu tanzen, weil sie sich gut ergänzen. Klassische Vorstellungen verkörpern die Essenz und Tradition des Balletts. In ihnen finde ich die perfekte Kombination aus technischer Brillanz, emotionaler Tiefe und zeitloser Schönheit. Sie sind wie ein Märchen, und man spürt, wie das Publikum mitgerissen wird. Die fließenden Bewegungen, die federleicht aussehen müssen, sind tatsächlich sehr anspruchsvoll. Wenn sie schwerfällig wirken, mache ich etwas falsch. Bei modernen Produktionen ist es spannend, mit dem Choreographen zusammenzuarbeiten, an verschiedenen Stilen zu feilen, sich zu entwickeln und inspirieren zu lassen. Es ist ein wunderbares Gefühl, Teil eines kreativen Prozesses zu sein, in dem etwas Neues mit dir bzw. in gewisser Weise für dich entsteht.

LEADERSNET: Was sind die größten Herausforderungen im Alltag einer Primaballerina?

Konovalova: Eine Primaballerina zu sein erfordert vor allem Disziplin, Talent, unermüdliche Arbeit und die Fähigkeit zur Selbstüberwindung. Ein starker Charakter ist entscheidend, um Schwierigkeiten zu meistern, ohne den eigenen Stolz zu verlieren. Verletzungen gehören zur unvermeidbaren Realität, ähnlich wie im Profisport. So eine Herausforderung kann aber sogar nützlich sein, um den Charakter zu formen.

Ich sehe mich nicht in Konkurrenz zu anderen, ich stehe nur im Wettbewerb mit mir selbst. Mein tägliches Ziel ist es, mich jeden Tag zumindest ein bisschen zu verbessern. Selbst in so einem schönen Beruf wie unserem gibt es Herausforderungen, ähnlich wie Rosen Dornen haben. In unserem Fall sind es vor allem die Verletzungen und ihre Bewältigung. Die Arbeit hört niemals auf und wird niemals leichter: Es ist wesentlich, sich immer zu bemühen, noch ein wenig besser zu werden. Man lebt manchmal buchstäblich in der Oper und kriegt nicht mit, was draußen in der Welt alles vor sich geht. Aber gerade diese Zeiten sind die glücklichsten, denn dann weiß ich, dass ich dem Publikum Freude bereiten kann.

LEADERSNET: Welche Rolle spielt Manifestation für Sie?

Konovalova: Klassisch Manifestieren gibt es bei mir nicht, aber ohne starken Willen und den Glauben an mich selbst wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Mein Weg, insbesondere beruflich, war nicht immer leicht. Aber ich war mir immer schon sicher, dass es ohne Niederlage keinen Sieg gibt. Misserfolge und Niederlagen sind sehr nützlich für Weiterentwicklung und formen den Charakter. Ich weiß nicht, was schwieriger ist – Primaballerina zu werden oder sich in dieser Rolle zu halten. Nach meiner Verletzung tanzte ich fast ein Jahr lang nicht. In dieser Zeit habe ich gelernt, Geduld mit mir selbst zu haben und darauf zu vertrauen, dass ich stärker zurückkommen kann als vor der Verletzung. Das ist mir auch gelungen und ich habe besser getanzt als je zuvor.

LEADERSNET: Sie unterstützen mehrere wohltätige Vereine, in denen Kindern das Ballett beigebracht wird. Welche Vorteile haben Kinder vom Unterricht?

Konovalova: Der Ballettunterricht hat viele Vorteile, die über die Bühne hinausgehen. In der heutigen Zeit, in der viele Menschen mit schlechter Haltung und Rückenschmerzen zu kämpfen haben, kann der Ballettunterricht dazu beitragen, diese Probleme zu verbessern. Er fördert ein besseres Bewusstsein für den Körper und die Ernährung.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Ballett jedem guttun kann, unabhängig von Geschlecht. Die erworbenen Fähigkeiten und die Disziplin des Balletts sind lebenslang nützlich und tragen dazu bei, ein gesünderes und ausgeglicheneres Leben zu führen. Es ist eine Freude, diese positiven Veränderungen in den Kindern zu sehen und ihre Entwicklung zu unterstützen.

www.wiener-staatsoper.at

 

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