Wer durch das Land fährt, kennt sie zur Genüge: die Gewerbezentren, die in den vergangenen Jahrzehnten am Rande der Ortschaften auf der grünen Wiese entstanden sind – ein Supermarkt da, ein Möbelhaus oder gar eine leerstehende Ruine dort, dazwischen Baumärkte und Geschäfte für Bekleidung. Dabei wurde das Maximum an denkbarem Bodenverbrauch ausgenutzt.
Europameister im negativen Sinn
Österreich ist beim Bodenverbrauch weiter Europameister im negativen Sinn. Dabei hat der heurige Sommer erneut vor Augen geführt, wie schnell sich Betonflächen in Hitzeinseln verwandeln und welche Kraft das Wasser im Fall von Starkniederschlägen und fehlender Versickerungsmöglichkeit hat. Der momentane Bodenverbrauch von mehr als elf Hektar Äcker und Wiesen oder umgerechnet im Ausmaß von 16 Fußballfeldern pro Tag gefährdet dabei nicht nur die heimische Lebensmittelproduktion, die Tier- und Pflanzenwelt, den Tourismus etc., sondern befeuert auch die Auswirkungen von Extremwetterereignissen wie Überschwemmungen.
Maßnahmenbündel notwendig
Aus diesem Grund besteht Handlungsbedarf und ein umfassendes Maßnahmenbündel von raumplanerischen Vorgaben bis hin zu fiskalischen Instrumenten sei dringend notwendig, um das Bodenverbrauchsziel der österreichischen Bundesregierung von höchstens 2,5 Hektar pro Tag bis 2030 zu erreichen, so der eingehende Appell des Vorstandsvorsitzenden der Österreichischen Hagelversicherung, Kurt Weinberger, des WIFO-Direktors Gabriel Felbermayr und der Autorin der im Rahmen des Pressegesprächs präsentierten und im Auftrag der Österreichischen Hagelversicherung erstellten WIFO-Studie "Steuerpolitische Instrumente zur Verringerung des Bodenverbrauchs in Österreich", Margit Schratzenstaller.
Massiver Wohlstandsverlust droht
Der Ökonom Gabriel Felbermayr prognostiziert einen massiven Wohlstandsverlust und Abhängigkeiten, wenn die Eindämmung des hohen Bodenverbrauchs nicht jetzt in Angriff genommen wird: "Bereits in der WIFO-Studie 'Bodenverbrauch nimmt uns Essen vom Teller' von Dozent Franz Sinabell wird die Dringlichkeit der Begrenzung des Flächenverbrauchs dargestellt, um den Verlust der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln einzudämmen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Ackerland zwischen 1999 und 2020 um über 72.000 Hektar abgenommen hat. Umgerechnet in Versorgungsleistung bedeutet dieser Rückgang, dass in Österreich binnen 20 Jahren etwa 480.000 Menschen pro Jahr weniger ernährt werden können. Es handelt sich beim Bodenverbrauch um ein rein nationales Umweltproblem. Es bringt also nichts, die Schuld fernab der nationalen Grenzen zu suchen. Dieser Umstand muss dringend national gelöst werden, um den Naturhaushalt und die Kulturlandschaft zu schützen sowie einen leistungsfähigen Agrarsektor mit einer produzierenden Landwirtschaft zu erhalten. Nur so können Abhängigkeiten in Form von Lebensmittelimporten verhindert werden", so Felbermayr.
Grund- und Kommunalsteuer sind Anreiz
Eine Reihe bestehender Steuern sind ein Impulsgeber für den Bodenverbrauch. Das sei weder ökonomisch noch sozial vernünftig und geht auch zu Lasten der Umwelt, ist sich Margit Schratzenstaller sicher. "Es braucht beim Bodenverbrauch eine – im wahrsten Sinne des Wortes – bodenständige Reform, beispielsweise bei der Kommunalsteuer. So kann eine verpflichtende interkommunale Teilung des Kommunalsteueraufkommens helfen, Anreize für Umwidmungen zu verringern und Zersiedelung einzudämmen. Wir haben in Österreich leerstehende Industrie-, Gewerbe- und Wohnimmobilien laut Schätzungen des Umweltbundesamtes im Ausmaß von 40.000 Hektar. Eine verpflichtende österreichweite Leerstandsabgabe sowie die Wiedereinführung der Zweckwidmung des Wohnbauförderungsbeitrages und die Verwendung eines Teils der Mittel für Altbausanierung können helfen, den Leerstand einzudämmen", sagt die anerkannte Ökonomin Margit Schratzenstaller.
Es brauche beim Bodenverbrauch einen Maßnahmenmix nach den Prinzipien Vermeiden, Wiederverwerten und Intensivieren.
Eine mögliche Lösung sei, dass die Kommunalsteuer als Bundessteuer eingehoben und im Zuge des Finanzausgleichs an (ökologische) Kriterien gekoppelt verteilt werden muss. Weiters muss das jetzige zahnlose System der Flächenwidmungsabänderung auf Landesebene durch einen weisungsfreien Raumordnungsbeirat, der für die Gemeinden die Umwidmungen genehmigt, effizienter und unabhängiger geregelt werden, so Kurt Weinberger.
www.hagel.at
www.wifo.ac.at
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