"Frauen sollten öfter 'Ja' sagen und die Courage haben, etwas auszuprobieren"

| Dejan Filipovic 
| 07.03.2023

Im LEADERSNET-Interview spricht Elisabeth Stadler, CEO der Vienna Insurance Group, u.a. über die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf das Unternehmen, die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit und Diversität, Künstliche Intelligenz, Gender Pay Gap und was eine Führungsperson ausmacht. Zudem gibt es Karriere-Tipps für junge Frauen.

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Stadler, in den letzten Jahren musste die Gesellschaft mehrere Herausforderungen meistern. Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, steigende Energiepreise und die hohe Inflation, bereiten den Menschen Sorgen. Wie hat die Corona-Pandemie die Vienna Insurance Group und die Versicherungsbranche im Allgemeinen verändert?

Stadler: Klar ist, dass all die genannten Faktoren auch die Versicherungen und die VIG-Gruppe wesentlich beeinflussen. Was sich aber zeigt ist, dass gerade die Versicherungsbranche, die naturgemäß konservativ agiert, da sie Risiken langfristig und nachhaltig kalkulieren muss, diese zahlreichen Herausforderungen gut meistern kann. Dazu kommt, dass gerade in Krisenzeiten die Menschen die Absicherung gegen Risiken sehr schätzen. Zumindest eine gewisse Sicherheit in unsicheren Zeiten zu haben, ist den Menschen sehr wichtig.

LEADERSNET: Die VIG macht in rund 20 Ländern der CEE-Region bereits seit Jahren Geschäfte. Auch in der Ukraine ist das Unternehmen mit drei Gesellschaften vertreten. Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine ist ein Ende nicht abzusehen. Wie wirkt sich der Krieg auf die Vienna Insurance Group aus?

Stadler: Der Krieg betrifft uns natürlich sehr und unsere Sorge gilt in erster Linie unseren rund 1.400 Mitarbeiter:innen in der Ukraine. Wir haben unmittelbar nach Kriegsausbruch mit Hilfsaktionen innerhalb der Gruppe begonnen und die Solidarität innerhalb der Gruppe ist einfach fantastisch. Viele unserer Gesellschaften haben Wohnungen für geflüchtete Mitarbeiter:innen und deren Familienangehörige in Windeseile zur Verfügung gestellt und zahlreiche weitere Aktionen, auch für die Menschen in der Ukraine allgemein, gesetzt. Wir haben einen Hilfsfond initiiert, den "VIG Family Fund", der rund sieben Millionen Euro umfasst und für den Wiederaufbau der Kriegsschäden und Milderung menschlichen Leids unserer ukrainischen Kolleg:innen gedacht ist. Einem Kollegen konnte bereits eine neue Hüfte finanziert werden, der bei einem Bombenangriff schwer verletzt wurde. Gleichzeitig ist die Einsatzbereitschaft der ukrainischen Kolleg:innen bemerkenswert. Sie versuchen, so gut es geht, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Ich habe wirklich großen Respekt vor diesem Engagement in dieser extremen Ausnahmesituation. Für uns ist klar, wir halten an der Ukraine fest und unterstützen unsere Gesellschaften in diesem vom Krieg so schwer getroffenen Land.

LEADERSNET: Wie wird die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz die Branche verändern? Wie entwickeln sich dadurch Ihre Produkte und Ihr Geschäftsmodell weiter?

Stadler: Die Vienna Insurance Group hat diesem Thema zum Glück schon seit einigen Jahren hohe Aufmerksamkeit geschenkt und das hat sich gerade in der Pandemie besonders bezahlt gemacht. Die Forcierung digitaler Serviceleistungen ist und bleibt ein zentrales Thema in unseren strategischen Überlegungen. Wir werden einen Wandel vom Wettbewerb der Branchen hin zu Ökosystemen erleben. Darin kooperieren Unternehmen unterschiedlicher Art, die alle gemeinsam Produkte und Dienstleistungen gestalten, die sich nach den Kund:innenbedürfnissen eines Ökosystems orientieren, wie zum Beispiel Gesundheit, Mobilität oder Wohnen und nicht nach den Angeboten der einzelnen Partner:innen. Daher geht es jetzt darum, dass Versicherungen auch Teil von Ökosystemen und Plattformen werden, wo sich der:die Kunde:in aufhält.

LEADERSNET: Klimawandel, Umwelt, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind immer wichtigere Themen. Welche Rolle nimmt das Thema ESG in Ihrem Unternehmen ein und wie beeinflusst sie die Strategie der Vienna Insurance Group?

Stadler: Nachhaltigkeit ist schon seit Jahren ein integraler Bestandteil unseres Geschäftsmodells. Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob ich als Unternehmen Maßnahmen zur Nachhaltigkeit setze, sondern es ist eine Notwendigkeit, die von Regulatorien wie der EU und ihrem Green Deal, von Partner:innen und Kund:innen, Aktionär:innen und Investor:innen klar gefordert wird. Wir verfolgen seit 2018 eine Nachhaltigkeitsstrategie, wo wir Maßnahmen umsetzen, um den Anforderungen, wie dem Klimaziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden, zu entsprechen. 2021 hat die Vienna Insurance Group als erste Versicherung in Europa eine Benchmark Nachhaltigkeitsanleihe in der Höhe einer halben Milliarde Euro begeben, die für Investments in grüne und soziale Vermögenswerte verwendet wird. Wir forcieren ganz gezielt Investitionen in erneuerbare Energien, setzen aber auch im sozialen Bereich Initiativen. Hier engagieren wir uns bei der Förderung von leistbarem Wohnraum. Wir finden, dass bezahlbares Wohnen nicht zur sozialen Frage des 21. Jahrhunderts werden soll.

LEADERSNET: Welche Rolle nimmt das Thema "Diversität" in der VIG ein?

Stadler: Es ist unser Kernwert und Teil unserer DNA. Wir in der VIG sind davon überzeugt, dass gelebte Diversität zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens beiträgt. Wenn alle dasselbe denken, gleiche Meinungen und Interessen verfolgen, werden auch die Ergebnisse immer in eine Richtung gehen. Deshalb zeigen Studien, dass Unternehmen, die auf Diversität setzen, erfolgreicher sind. Ich denke auch, dass es für künftige Führungspositionen wichtig ist, die Basis mit entsprechend qualifizierten Frauen zu verbreitern. Je mehr Frauen an der Basis beginnen, umso mehr kommen in dieser Pyramide nach oben.

LEADERSNET: Nach welchen Kriterien sucht sich die Vienna Insurance Group ihre neuen Angestellten aus und gibt es vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels Probleme, die richtigen Arbeitskräfte zu finden?

Stadler: In unserer Personalstrategie legen wir hohen Wert auf Diversität und das macht sich bezahlt. Als international tätiges Unternehmen beschäftigen wir viele Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. Natürlich sind entsprechende Qualifikationen gefragt, als strategische Holding beschäftigen wir viele Expert:innen in den jeweiligen Fachgebieten. Es stimmt, dass es derzeit schwieriger ist, entsprechende Arbeitskräfte zu finden und die Anforderungen an uns als Arbeitgeberin steigen. Das gilt vor allem für flexiblere Arbeitszeiten wie Home Office, wenn wir das nicht bieten würden, wäre es jetzt schwerer, neue Mitarbeiter:innen zu finden.

LEADERSNET: Sie haben 40 Jahre in der Versicherungsbranche verbracht und sind eine der ganz wenigen Frauen an der Spitze eines ATX-Unternehmens. Welche Karrieretipps können Sie Frauen mit auf dem Weg geben und was macht eine gute Führungskraft aus?

Stadler: Gleich einmal vorweg, man muss sich eine Karriere schon mit viel Ehrgeiz und Engagement über Jahre hinweg erarbeiten. Das ist ein lang andauernder Prozess und ergibt sich nicht von heute auf morgen. Für mich sind Kompetenz, sowohl fachlich als auch sozial, Leadership und strukturiertes Denkvermögen jene Eigenschaften, die für eine Führungsposition zählen. Diese Eigenschaften gelten für Männer genauso wie für Frauen. Ich stelle fest, dass sich Frauen oft selbst im Weg stehen, weil sie nicht genug Selbstvertrauen haben, was manche davon abhält, Karriere zu machen. Deshalb würde ich jungen Frauen raten, Mut zu haben und selbstbewusst zu sein. Frauen sollten öfter "Ja" sagen und die Courage haben, etwas auszuprobieren.

LEADERSNET: Laut Berechnungen beläuft sich der Gender Pay Gap im Moment auf 13 Prozent. Das sind 47 Kalendertage, die Frauen demnach rechnerisch unbezahlt arbeiten. Im Österreichschnitt ist das eine Differenz von circa 6.000 Euro pro Jahr. Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, um diese Ungerechtigkeit in Zukunft zu minimieren bzw. letztendlich zu bekämpfen?

Stadler: Da spielt die Personalstrategie eines Unternehmens eine große Rolle. In der VIG wird Wertschätzung von Diversität und damit unter anderem auch die Beseitigung von Hindernissen für Frauenkarrieren als eines der Kernelemente gesehen. Entlohnung und Vergütungssysteme sind geschlechtsneutral gestaltet und bieten gleiche Einkommenschancen für alle Geschlechter. Es liegt meiner Meinung nach auch an der Einstellung und dem Willen des Managements und der Eigentümer:innen, ob Frauen Managementpositionen besetzen und für die gleiche Tätigkeit auch gleich entlohnt werden. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

LEADERSNET: Wie schauen die Pläne der VIG für 2023 und die (noch) weitere Zukunft aus?

Stadler: Wir arbeiten stringent an der Umsetzung unserer Strategie VIG 25 die unter andrem den Ausbau der Marktführerschaft als größte Versicherungsgruppe in der CEE Region vorsieht, den klaren Ausbau digitaler Serviceleistungen forciert und natürlich die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen beinhaltet. Derzeit beschäftigen wir uns intensiv mit der Evaluierung unserer CO2-Emmissionswerte aller Gesellschaften, um dann einen Plan zu erstellen, wie wir bis 2050 klimaneutral werden.

LEADERSNET: Sie sind noch bis Ende Juni 2023 an der Spitze der VIG. Wie schauen Ihre Pläne danach aus?

Stadler: Ich habe einige Aufsichtsratsmandate, externe wie auch innerhalb der VIG-Gruppe. Ich bin Vizepräsidentin des Österreichischen Roten Kreuzes und habe auch Funktionen im Kulturbereich. Alles sehr spannende und wichtige Aufgaben, die dafür sorgen werden, dass ich keineswegs untätig sein werde. Aber natürlich möchte ich nach 40jähriger Tätigkeit in der Versicherungsbranche ein wenig mehr Zeit für mich persönlich haben.

www.vig.com

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