Clemens Matt war jahrelang in der Privatwirtschaft tätig, zuletzt bei Novartis, und wechselte zu einer Non-Profit-Organisation. Seither trägt er beim größten österreichischen Bergsteigerverein die Verantwortung.
LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Matt, Sie sind nun bereits etwas mehr als zwei Jahre im Alpenverein als Generalsekretär tätig. Was hat Sie bisher am meisten beeindruckt?
Matt: Da gab es einiges, was mich beindruckt hat! Zum einen die Begeisterung der Mitarbeiter:innen und Funktionär:innen für diesen Verein, die Leidenschaft für das Thema Berge, das war von Anfang an etwas, was mich fasziniert hat. Und das spüre ich auch immer wieder bei den Menschen, denen ich im Alpenvereinshaus, in den Geschäftsstellen, in den Sektionen sowie bei den Versammlungen begegne.
Besonders das ehrenamtliche Engagement unserer vielen Funktionär:innen ist einfach beeindruckend. Sie haben kein Problem damit, sich an einem wunderschönen Wochenende den ganzen Tag zusammenzusetzen, um gemeinsam herausfordernde Themen zu diskutieren, um den Verein weiter zu bringen. Und alle machen das aus Überzeugung. Es ist beeindruckend und inspirierend zugleich, den Gesprächen zuzuhören. Diese Motivation ist ansteckend.
LEADERSNET: Sie waren vorher als Manager in der Privatwirtschaft tätig. Was ist beim Alpenverein anders?
Matt: An meinem alten Arbeitsplatz war alles unglaublich schnelllebig, es gab dauernd Organisationsveränderungen und Kostendruck. Aufgaben und Anfragen mussten immer sofort abgearbeitet werden und gerade in einem großen Konzern wird man sehr stark fremdgesteuert, es gibt kaum die Möglichkeit das "Warum" zu hinterfragen.
Im Alpenverein sind die Organisationsstrukturen gewachsen und stetig an die Situation sinnvoll angepasst worden – und das immer wohl überlegt. Auch die Aufgaben, die sich auch hier teilweise sehr kurzfristig einstellen, werden trotzdem immer und mit einer entsprechenden Weitsicht im Kollektiv besprochen und verabschiedet. Das macht das Arbeiten wesentlich angenehmer und man hat auch das Gefühl, dass alle dahinterstehen. Da könnten Konzerne einiges dazulernen, dass ein breites Verständnis in der Belegschaft für Entscheidungen essentiell für die Umsetzung ist.
Darüber hinaus kann ich wirklich sagen, dass ich durch diesen Schritt Hobby und Beruf zusammengeführt habe. Unter der Woche über das sprechen, was ich am Wochenende dann durch Wandern, Skitouren und Klettern in unserer schönen Bergwelt erleben darf – was gibt es Schöneres?
LEADERSNET: Das letzte Jahr war aufgrund der Corona-Krise in vielen Bereichen kein Leichtes. Können Sie dennoch auch Positives daraus mitnehmen?
Matt: Die Pandemie hat vieles gebremst, aber auch manches ermöglicht. Wie viele andere haben auch wir einen Digitalisierungsschub vollzogen, der einfach nötig war. Durch die Umstellung der Akademieangebote auf E-Learning konnten wir zum Beispiel etliche Absagen vermeiden und weiterhin unser umfangreiches Bildungsangebot durchziehen. Hier haben wir viele Erfahrungen sammeln können, die ein Neu- und Umdenken in allen Bereichen möglich machen.
Auf den Hütten wurde es notwendig, die Schlafplätze zu limitieren und auf Reservierungen zu setzen. Das hat einige Vorteile mit sich gebracht – man denke allein an die Hüttenwirtsleute, die so ihre Lebensmittelversorgung viel präziser und damit nachhaltiger planen konnten!
LEADERSNET: Der Österreichische Alpenverein ist nicht nur Bergsportverein, sondern auch eine Umwelt- und eine Jugendorganisation. Was gibt es in diesem Bereich noch zu tun?
Matt: Zudem sind wir auch ein Kulturverein mit über 160 Jahren Tradition, wenn ich das gleich ergänzen darf! Ich glaube, dass der Alpenverein als Ideengeber fungieren und das vorleben muss, wofür er sich einsetzt, nämlich möglichst eigenverantwortlich und mit dem erforderlichen Respekt mit der Natur umzugehen. Als Konglomerat der genannten vier Organisationen sind wir es gewohnt ergebnisorientierte Kompromisse zu ermöglichen. Es sind kleine Schritte, die wir vornehmen, aber auch die haben eine Wirkung. Mit unserem strengen Umweltgütesiegel für Hütten sind wir da zum Beispiel schon seit langem auf einem sehr guten Weg. Hier zeigen wir vor, wie solche Lösungen ausschauen könnten. Die individuelle Anreise zu Tourenstartpunkten ist sicher ein Thema, das uns in Zukunft beschäftigen wird, wo Lösungen und Angebote gefunden werden müssen. Dass die Tourenplattform alpenvereinaktiv.com Touren mit Öffi-Anreise bewirbt, entspricht unserem Fokus auf Nachhaltigkeit. Wir alle sind Teil der Veränderung und tragen dazu bei, dass eine möglichst gute Welt (bzw. in unseren Kontext Alpen) für alle erlebbar bleibt.
LEADERSNET: Was sind Ihre Pläne und Visionen für die Zukunft?
Matt: Ich möchte die digitalen Möglichkeiten im Verein weiter ausbauen. Damit soll die Kommunikation zwischen den Sektionen bzw. auch innerhalb einer Sektion, zu den Funktionär:innen und Mitgliedern erleichtert werden, um sich noch besser auszutauschen.
Aber auch der Zugang zu Services soll für Mitglieder erleichtert werden. Sektionstouren mit einem Klick am Handy buchen, direkter Infoaustausch mit den Tourenführer:innen, fehlendes Equipment ausleihen, Fotos der Tour online stellen und zu tauschen und am Ende einen tollen, aktuellen Tourenbericht erstellen, der für alle zum Nachlesen aufliegt: Das wäre unter anderem so eine Vision.
Konträr dazu möchte ich außerdem das Ehrenamt stärken und unseren Verein auch für neue Formen der Freiwilligenarbeit anstoßen. Es ist eine absolut wichtige und wesentliche Säule des Vereins. Mir geht es auch darum den Gemeinschaftssinn des Alpenvereins, dass wir alle ein Teil dieser Wertegemeinschaft sind, auch nach außen repräsentieren.
LEADERSNET: Gibt es Parallelen zwischen der Alpenvereins- und der Managementwelt, oder gibt es sogar Alpenverein-Konzepte, bei denen Führungskräfte etwas lernen können?
Matt: Der Alpenverein beschäftigt sich schon Jahrzehnte mit den Themen Risiko, Wagnis, Respekt, Verantwortung und Vielfalt. Der Mensch braucht Regeln und Strategien, um in Grenzsituationen schnell und gut reagieren zu können – sei es beim Freeriden oder im Management. Menschen wollen aber auch bewusst Risiken eingehen, um damit aufzugehen und zu wachsen. In der Alpenvereinsjugend haben wir ein Konzept entwickelt um Jugendlichen eine gesunde und gute Zukunft – kurz "Tage draußen!" - zu ermöglichen. Wir gehen hier der Frage nach, wie sich Mut und Unsicherheit anfühlt und wieviel Freiraum junge Menschen brauchen. Wir ermutigen damit Eltern, Verantwortung zu ermöglichen und gesunde Risiken zuzulassen, damit Menschen mit Zuversicht wachsen. Alles Themen, die im Leadership ebenso wichtig sind!
www.alpenverein.at
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