"Es gibt keinen Anlass, in Panik zu verfallen"

| 22.03.2020

LEADERSNET im Interview mit Harry Kopietz, dem Wiener Landespräsidenten des Österreichischen Pensionistenverbandes, zur aktuellen Situation rund um das Coronavirus und was er sich speziell von Wiens Seniorinnen und Senioren wünscht.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Kopietz, wir befinden uns in einer nie dagewesenen Situation. Momentan gilt: Zuerst Grundversorgung der Bevölkerung, Erhaltung der öffentlichen Ressourcen und der Gesundheitsversorgung und dann Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Aktionsfähigkeit. Was gilt hier besonders für die ältere Generation?

Kopietz: Für die ältere Generation wie die ganz Jungen gilt jetzt vor allen Dingen und zuallererst dies: auf der sicheren Seite befindet man sich, wenn man die Gesetze, die der Nationalrat zur Coronakrise einstimmig beschlossen hat, einhält. Das ist die erste Regel, die niemanden mehr und niemanden weniger betrifft, denn diese neuen Gesetze wurden im Sinne von uns allen als Gesellschaft und einzig und allein zu unserem Schutze beschlossen. Das schließt alle Altersgruppen mit ein.

Es ist mir an dieser Stelle außerordentlich wichtig zu betonen, dass die Versorgungsnotwendigkeiten wie Lebensmittel, Medikamente, einfach Dinge des täglichen Bedarfs, gewährleistet bleibt. Wir können hier stolz auf unser Land und alle involvierten Personen sein, dass wir hier so exzellent aufgestellt sind. Es besteht keinerlei Grund dazu, mehr einzukaufen, als man sonst auch benötigt, denn die Geschäfte, die für die Grundversorgung nötige Waren führen, sind und bleiben geöffnet. Hier möchte ich auch die gemeinsame Initiative der Handelsriesen positiv erwähnen, die solidarisch dazu aufgerufen haben, ihre Geschäfte von acht bis neun Uhr für die ältere Generation zu "reservieren". Wer seine Einkäufe in Ruhe erledigen möchte, dem ist dies so in diesem Zeitfenster möglich.

Seniorinnen und Senioren, die aufgrund von Vorerkrankungen ihre Einkäufe und Erledigungen nicht selbst bewältigen können, kommt aktuell eine große Welle an Hilfsbereitschaft entgegen, die ich sehr begrüße und für die ich mich stellvertretend auch sehr bedanken möchte. Viele Menschen gehen gerade jetzt proaktiv auf ältere Nachbarn oder Bewohner im selben Haus zu und bieten ihre Hilfe an. Auch viele Unternehmen bieten jetzt vermehrt ihre Unterstützung bei Erledigungen und sogar kostenlose Mahlzeiten an. Das ist wunderbar und zeigt uns einmal mehr, das diese Situation auch Positives mit sich bringt: sie zeigt uns den Zusammenhalt und die Menschlichkeit, die uns verbinden.

LEADERSNET: Was ist in der jetzigen Situation deine Verhaltensempfehlung für die Zielgruppe 65plus der Stadt Wien?

Kopietz: Meine dringende Empfehlung lautet: Wenn möglich daheim bleiben – vor allem in der Freizeit – um das eigene Infektionsrisiko und vor allem für Mitmenschen zu reduzieren. Auch wenn in den letzten Tagen wunderschönes Frühlingswetter vorgeherrscht hat: bitte bleiben Sie zuhause. Sie können natürlich nach wie vor mit ihrem Hund raus gehen und kurz ein paar Sonnenstrahlen zu tanken, stärkt unser aller Immunsystem genauso, wie es unser Gemüt aufhellt, aber auch hier gilt: nur allein oder in Begleitung der oder des Menschen, mit denen man zusammenlebt. Mindestens einen Meter Abstand halten und keine Menschengruppen bilden. Soziale Distanz ist für viele eine Herausforderung, besonders, wenn für viele ältere Menschen soziale Kontakte mit Familie aufgrund des oftmals hektischen Alltags schon zuvor nur in unregelmäßigen Abständen stattfinden konnten. Die Geduld, die wir jetzt aufbringen und die Distanz, die wir jetzt wahren, sind genau der Schlüssel, um die Kurve flach zu halten und uns wertvolle Zeit im Kampf gegen das Virus zu erarbeiten. Darum bitte ich  um Verständnis und Zusammenhalt. Besuche jeglicher Art – abgesehen von Notwendigkeiten wie Besuchen durch Pflegepersonal und Versorgungmaßnahmen – sind grundsätzlich möglichst hintanzuhalten. Besonders älteren Menschen oder chronisch Kranken.

LEADERSNET: Was können wir alle tun, um Panik zu vermeiden, aber die Gesundheit der älteren Generation zu schützen?

Kopietz: Panik, das ist ein Schlüsselwort. Als und schon kurz bevor die Regierung ihren ersten Maßnahmenplan präsentiert hat, kam viel Unruhe auf. Das ist aber nicht notwendig. Die wichtigste Information ist mir: Es gibt keinen Anlass in Panik zu verfallen. Erst recht nicht, wenn wir weiterhin besonnen agieren und uns an die neuen Regeln halten. Bleiben Sie zuhause. Wenn Sie sich kränklich fühlen und Symptome wie Fieber und Husten zeigen, bleiben Sie ruhig und rufen Sie die Hotline 1450 an. In Österreich und hier vor allem in Wien kann man sicher sein, dass das Gesundheitssystem perfekt funktioniert. Die Gesundheit der älteren Generation schützen wir mit ebendiesen Maßnahmen. Und egal welche Feier ansteht: sei es ein Geburtstag, eine Hochzeit, eine Taufe oder was immer: alle geplanten Familienfeste sollten zu einem späteren Zeitpunkt abgehalten werden, um vor allem unsere älteren Familienmitglieder zu schützen.

LEADERSNET:  Wie ist die momentane Situation beim Pensionistenverband und dessen Veranstaltungen?

Kopietz: Selbstverständlich hat der Österreichische Pensionistenverband, dessen Wiener Landespräsident ich sein darf, auch ausnahmslos alle Veranstaltungen in allen Bundesländern abgesagt. Jetzt ist es wichtiger denn je, Zusammenhalt zu zeigen und gemeinsam dasselbe Ziel zu verfolgen: die Kurve an Neuerkrankungen abzuflachen und so die Verbreitung des Virus nach und nach einzudämmen. Es wird eine Zeit danach geben, und dann wird es auch wieder Veranstaltungen geben. Jetzt geht es aber darum, Menschenleben zu schützen um diese Veranstaltungen auch wieder in möglichst voller Besetzung und in Freude begehen zu können.

LEADERSNET:  Welchen Hausverstand wünscht ihr euch von Seiten der älteren Zielgruppe in Wien?

Kopietz: Ich wünsche mir von allen, nicht nur von der älteren Zielgruppe, den Hausverstand, sich an die Vorgaben der Regierung zu halten. Wie die letzten Tage bzw. die  vergangene Woche gezeigt haben, kann man dies nicht oft genug betonen, und da die Handlungen jedes einzelnen auch jede Altergsuppe treffen, gilt das auch für jede und jeden. Dennoch – gerade für die ältere Zielgruppe gilt: Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit chronischen Erkrankungen sollen unbedingt zu Hause bleiben. Wenn es nicht anders geht und sie doch das Haus verlassen müssen, gilt es, sich nicht lange in der Öffentlichkeit wie etwa beim Einkaufen, aufzuhalten. Die Verhaltensregeln – wie Abstand halten, Hände gründlich waschen, in die Armbeuge niesen oder husten – einzuhalten.

LEADERSNET:  Wie kann man der älteren Generation, ohne sie in Angst zu versetzen, klar machen, dass sie diesen Virus nicht auf die leichte Schulter nehmen sollen und so schwer es fällt, sie derzeit ohne Besuche der Enkerln auskommen müssen?

Kopietz: Wie ich bereits erwähnt habe ist vor allen Dingen eines wichtig: es gibt weder Anlass zu Panik noch zu Angst. Meiner Erfahrung nach ist es oft gerade die ältere Generation, die herausfordernden Zeiten "entspannter" entgegen blickt, da sie eben durch ihr Alter und ihre Erfahrungswerte "krisenerprobt" sind. Auch wenn wir uns natürlich in einer völlig neuen Situation befinden: es muss keine Pandemie sein, die einen lehrt, dass es gerade in Krisensituationen wichtig ist, besonnen zu agieren und dass es eine Konstante gibt: es wird weitergehen. Wir haben ein hervorragend aufgestelltes Gesundheitssystem und einige unserer Ältesten haben sogar noch den zweiten Weltkrieg miterlebt. Sie wissen, was Verzicht heißt, und auch, dass es ein "Danach" geben wird. Für all jene, denen es dennoch schwerer fallen sollte, die Gravitas dieser Situation zu erfassen, hilft der Dialog. Aufklärungsarbeit ist wichtig, genauso wie das Gefühl, in dieser Situation nicht allein zu sein. Wenn Besuche nun für einen begrenzten Zeitraum nicht möglich sind, bedeutet das nicht, dass man nicht zum Telefon greifen kann: schaffen Sie neue Kommunikationskanäle, viele Seniorinnen und Senioren sind digital recht fit und können auch WhatsApp oder Videotelefonie nutzen. Sie an einem Familienchat teilhaben zu lassen gibt schon das Gefühl, "dabei" zu sein. Wenn das nicht geht, schaffen Sie neue Routinen, die Sicherheit geben und Einsamkeit verhindern. Räumen Sie beispielsweise fixe "Telefonzeiten" mehrmals die Woche oder nach Möglichkeit sogar täglich ein. Es muss nicht lange sein, aber so ein Fixpunkt am Tag schafft nicht nur Sicherheit, sondern kann auch zum Tageshighlight für viele ältere Menschen werden. Und auch die Enkerln sind jetzt gefragt: je nachdem, wie alt sie sind, können auch sie ihren Beitrag leisten, ihren Großeltern Sicherheit zu vermitteln. Wer weiß, vielleicht bringt uns diese Zeit ja auch wieder näher zusammen, und im "Danach" sieht und besucht man sich öfter als zuvor, hält engeren Kontakt. Das ist doch einmal ein schöner Gedanke.

LEADERSNET: Was raten Sie den Seniorinnen und Senioren zur Ablenkung in den folgenden Tagen und Wochen? Was wünschen Sie sich für die Pensionistengemeinschaft Wiens?

Kopietz: Ich wünsche Ihnen Ruhe, Gelassenheit und vor allen Dingen Gesundheit. Nutzen Sie diese Zeit zur Entschleunigung und verbringen Sie sie ohne schlechtes Gewissen mit den Dingen, die man sich im Alltag manchmal aufgrund täglicher Pflichten verwehrt: mit Lesen, Basteln, Telefonieren, Fernsehen, Gärtnern und mehr. Verbringen Sie angenehme Tage.

www.pvoe.at

leadersnet.TV