Der frühere Onlinedirektor des ORF, Thomas Prantner, hat als Leiter der Hauptabteilung Online und neue Medien die Verantwortung für das Online- und Teletext-Angebot des ORF inne, leitet die Videoplattform ORF-TVthek, ist für Projekte im Bereich neue Medien und Technologien sowie für die strategische Führung und Koordinierung der Online-Vermarktung des ORF zuständig. Darüber hinaus vertritt Prantner den Direktor für Technik, Online und neue Medien als dessen Stellvertreter. leadersnet.at hat mit ihm über das Bestellungsprocedere, den Amtstantritt, Zukunftsvisionen und den Aufbau einer Radiothek gesprochen.
leadersnet.at: Die Medienbehörde KommAustria hat eine Beschwerde des ORF-Redakteursrats gegen Ihre Bestellung zum Leiter der Hauptabteilung Online und neue Medien abgelehnt, nun wollen die Belegschaftsvertreter erneut gegen Ihre Bestellung vorgehen. Wie beurteilen Sie die Lage?
Prantner: Der ORF-Redakteursrat mit seinem Vorsitzenden Fritz Wendl ist mit seiner Anzeige gegen meine Bestellung zum Leiter der Hauptabteilung Online und neue Medien fürs Erste gescheitert. Die Entscheidung der Medienbehörde KommAustria, die Beschwerde des ORF-Redakteursrats zurückzuweisen, ist eine Niederlage für Wendl & Co. Dennoch kehrt hier offenbar nicht Vernunft ein, denn nunmehr haben die Redakteursräte gegen dieses Ersturteil der KommAustria beim Bundeskommunikationssenat Berufung eingelegt. Es ist bedauerlich, dass diese unternehmensschädigende Vorgangsweise nunmehr fortgesetzt wird. Dies wurde bereits vom ORF-Stiftungsrat kritisiert und ist selbst innerhalb der Redakteursvertretung nicht unumstritten. Nach der Entscheidung des Bundeskommunikationssenats hat diese Auseinandersetzung hoffentlich ein Ende.
leadersnet.at: Haben Sie sich je Sorgen gemacht, dass ihre Bestellung nicht zustande kommen könnte?
Prantner: Nein, weil das Bestellungsprocedere völlig korrekt abgewickelt worden ist. Die bisherige Onlinedirektion wurde Ende 2011 abgeschafft und im Rahmen einer Strukturreform als Hauptabteilung „Online und neue Medien“ in die Technische Direktion integriert. Kompetenzen und Aufgabenstellungen wurden in Form einer Organisationsanweisung geregelt. Darüber wurde auch im Haus betriebsinterner Konsens hergestellt. Der Zentralbetriebsrat und Betriebsrat Technische Direktion haben diese Organisationsanweisung „Online und neue Medien“ unterschrieben und akzeptiert. Danach wurde die Funktion des Hauptabteilungsleiters öffentlich ausgeschrieben, ich habe mich für die Funktion beworben und wurde Anfang April 2012 von Generaldirektor Wrabetz auf Vorschlag des Technischen Direktors Götzhaber zum Hauptabteilungsleiter bestellt. Ich trete ja keinen völlig neuen Job an, sondern kann auf eine fünfjährige erfolgreiche Leistungsbilanz als Onlinedirektor, etwa mit der Einführung der ORF-TVthek verweisen.
leadersnet.at: Orf.at ist das größte Dachangebot Österreichs (ÖWA). Sind in nächster Zeit weitere Zuwächse zu erwarten?
Prantner: Die Mittelfrist-Analyse der Daten zeigt, dass der österreichische Online-Medienmarkt im Wesentlichen verteilt ist. Große Verschiebungen sind in den letzten Jahren nicht erkennbar gewesen. Angesichts dieser Entwicklungen und der Einschränkungen, denen ORF.at durch das ORF-Gesetz unterworfen ist, liegt unser Hauptaugenmerk weniger auf der Einführung neuer Kanäle als auf der weiteren Nutzungsintensivierung durch die schon bestehenden Nutzergruppen und auf der laufenden Überarbeitung der bestehenden Angebote. In aller Bescheidenheit: es ist schon eine Großleistung der ORF ON, diese Marktführerschaft durch redaktionelle Top-Performance trotz härtester Konkurrenz behauptet zu haben. Die wichtigsten Weiterentwicklungsschritte sind da in den vergangenen 5 Jahren gesetzt worden: sämtliche großen ORF.at-Angebote wurden einem sanften Relaunch unterzogen. Dazu kommen noch wichtige Innovationen, wie die von der Onlinedirektion erfolgreich aufgebaute Videoplattform ORF-TVthek. Auch innerhalb dieses vorhandenen Portfolios ist großes Wachstum möglich. So hat ORF.at in den vergangenen 5 Jahren, trotz der schon damals erkennbaren Marktsättigung, die Visits in etwa verdoppelt, obwohl in diesem Zeitraum Angebote eingestellt werden mussten und mit der TVthek nur ein einziges dazu kam.
leadersnet.at: Haben Sie als Online Chef des ORF besondere Ziele im Auge?
Prantner: Wir stehen an einer medialen Zeitenwende und vor gewaltigen Herausforderungen: TV und Internet wachsen immer mehr zusammen, das Medienkonsumverhalten unseres Publikums ändert sich rasant in Richtung zeit- und ortsunabhängiger Nutzung und daher müssen wir als modernes, multimediales Medienunternehmen die entsprechenden Antworten geben. Wir werden die - in den vergangenen Jahren konsequent verfolgte - Strategie, ORF-Content auf möglichst vielen Plattformen anzubieten, fortsetzen. Seit kurzem bieten wir die ORF-TVthek in Österreichs größtem Kabelnetz, der UPC, als On-Demand-Service an und mit der Implementierung einer ORF-TVthek-App in alle neuen Samsung-TV-Geräte haben wir heuer das erste konkrete Projekt das im Rahmen unserer Smart-TV-Aktivitäten umgesetzt. Wir wollen im Februar 2013 mit einem eigenen HbbTV-Angebot starten, ein eigenes Team in der Technischen Direktion arbeitet mit Hochdruck an diesem Projekt. Die neue Struktur mit der Fusionierung von Technik und Online ist äußerst hilfreich für die technologische Weiterentwicklung und Modernisierung unserer Angebote, vor allem auch deshalb weil Direktor Michael Götzhaber ein offenes Ohr für alle Online- und neue Medien-Innovationen hat und unsere Projekte aktiv und positiv unterstützt. Ganz entscheidend ist natürlich der Erhalt der Marktführerschaft von ORF.at und im ORF-TELETEXT sowie die mobile Verbreitung unserer Angebote mit der Entwicklung neuer Apps.
Ieadersnet.at: In den Medien wurde viel über ORF und Facebook berichtet, worin besteht die Problematik? Was tut sich hier?
Prantner: Nach Entscheidungen der Regulierungsbehörden verstößt der ORF durch die Bereitstellung von (gewissermaßen „offiziellen“ ORF) Facebook-Seiten gegen das gesetzliche Verbot „sonstiger Kooperationen“ mit sozialen Netzwerken. Der ORF hat gegen diese Feststellung Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt, d.h. dass die verbotenen Facebook-Seiten vorläufig (bis zur inhaltlichen Entscheidung) weiter bereitgestellt werden dürfen. Das ist gut so, denn ein Nutzungsverbot von sozialen Netzwerken für den ORF würde uns in die mediale Steinzeit zurückwerfen. Ich habe einmal gesagt, das ist in etwas so, als ob sie uns Farbfernsehen verbieten würden. Bei dieser Diskussion haben wir die überwiegende Mehrheit der Internet-Community und auch praktisch alle politischen Verantwortungsträger hinter uns. Wir machen ja keine Kooperationen mit sozialen Netzwerken im Sinne einer gegenseitigen werblichen Unterstützung, sondern wollen lediglich mit unseren Kunden in Kontakt treten. Es muss dem ORF doch möglich sein, soziale Netzwerke, wie Facebook – vor allem für viele jüngere Menschen das wichtigste Informations- und Kommunikationsmedium - für Kundenkontakt und Publikumsinformation über unsere Sendungen, Programme und Sender zu nützen. Das ist eine Art moderner Kundendienst und Kontakt zum Bürger, der uns ja bezahlt, ist Teil des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags. Ich hoffe und gehe davon aus, dass wir das auch in Zukunft dürfen.
Ieadersnet.at: Für Irritationen bei den Mitbewerbern sorgt die TVthek immer wieder. Wie ist hier der Stand der Dinge? Wie hat sich eigentlich die Nutzung der ORF-TVthek in den vergangenen zwölf Monaten entwickelt?
Prantner: Erfolg schafft immer Irritationen und Neider und auf diesen Erfolg der ORF-TVthek können wir auch wirklich stolz sein, weil er nachhaltig ist und sich Monat für Monat fortsetzt. Im Jahr 2011 hatten wir durchschnittlich pro Monat 8,8 Mio. Videoabrufe, im Jahr 2012 sind es bereits an die 12 Mio. – das ist auch im internationalen Vergleich äußerst erfreulich. Die ORF-TVthek ist nach nur knapp 3-jährigen Bestehens bereits eine unverzichtbare Informationsquelle für jene TV-Zuseher geworden, die eine Sendung versäumt haben oder sich gewisse Fernseh-Beiträge nochmals ansehen wollen. Die neueste ÖWA Plus (2. Quartal 2012) bestätigt diesen Aufwärtstrend: pro Monat nutzen 690.000 User die ORF-Videoplattform, das entspricht einer Reichweite von 12,1 %. Nicht nur am PC, sondern auch auf mobilen Plattformen setzt die TVthek ihren Erfolgsweg fort. Bereits 16 % aller Sichtungen auf der TVthek werden über mobile Endgeräte (inklusive TVthek-Apps) generiert.
Ieadersnet.at: Wie steht es um die Vermarktung? Bestehen besondere Chancen und Gewinnerwartungen? Kann aus einer kurzfristigen Erfolgsbilanz bereits eine Prognose erwartet werden. Wie geht es weiter?
Prantner: Eine der Aufgaben der Hauptabteilung „Online und neue Medien“ ist es, die Online-Vermarktungsstrategie des ORF mit zu entwickeln und neue Vermarktungsmöglichkeiten für die ORF-Geschäftsführung vorzubereiten. Daher haben wir in den vergangenen Monaten intensiv an einem Angebotskonzept für eine Auftragsvorprüfung gearbeitet, das sowohl den inhaltlichen und technischen Ausbau der TVthek als auch eine dosierte kommerzielle Kommunikation auf der TVthek zum Ziel hat. Es muss dem ORF möglich sein, an der Weiterentwicklung des Online-Werbemarktes teilzuhaben und auch neue Onlineangebote kommerziell verwerten zu dürfen – selbstverständlich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten und der rechtlichen Einschränkungen. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass wir demnächst einen entsprechenden Antrag bei der Medienbehörde stellen. Die endgültige Entscheidung über Zeitpunkt dieses Antrags trifft Generaldirektor Wrabetz.
leadersnet.at: Wie steht es mit dem Aufbau einer ORF-Radiothek?
Prantner: Der erste Schritt befindet sich gerade mitten in der Umsetzungsphase, nämlich das Radiothek-Pilotprojekt für FM 4. Sobald dies erledigt ist, wird das Gesamtkonzept für die ORF-Radiothek von einer unternehmensweiten Arbeitsgruppe, bestehend aus KollegInnen aus dem Online-, Technik- und Radiobereich, fertiggestellt. Ziel ist eine zentrale und zeitgemäße Live- und Audio-on-Demand-Abrufplattform für alle ORF-Radios.
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